Samuel Carver 04 - Collateral
direkt auf den Rolls-Royce zu. Eines war klar: Sie hatten es nicht auf den Wagen abgesehen. Mabeki hatte ihm also doch eine Falle gestellt. Und die war soeben zugeschnappt.
72
Auf der anderen Straßenseite entdeckte Carver einen Lebensmittelladen. Er war so schlicht wie irgend möglich – ein einzelner Raum, zur Straße hin offen, eine Stahljalousie, die abends heruntergelassen wurde. Carver hielt mit schnellen Schritten darauf zu. Ihm war bewusst, dass die Männer ihm folgten und ausfächerten, um ihn nicht entwischen zu lassen. Der Mann, der die Befehle gab, ging in der Mitte. Er hatte ein zauseliges Ziegenbärtchen und einen Oberlippenbart und trug ein altes, olivgrünes Armeehemd offen über einem schwarzen Trägerhemd. Er war noch dreißig Meter weit weg und ging in flottem Spaziertempo, was Carver fünfzehn Sekunden Vorsprung ließ.
Als Carver sich dem Laden näherte, sah er einen grauhaarigen alten Mann auf einem weißen Plastikstuhl neben dem Eingang sitzen. Vor ihm befand sich eine halbhohe hölzerne Theke. Davor und entlang der Seitenwand waren Pappkartons aufgestapelt. Die meisten waren noch zugeklebt, aber der jeweils oberste war aufgerissen und präsentierte seinen Inhalt. In denen, die vornean im Laden standen, sah Carver verschiedene Sorten Eier – normale und hellblaue und welche, die mit grünem Schlamm überzogen waren – sowie getrocknete Pilze, Abalonen und Seesterne, langblättrige chinesische Gemüse in Klarsichtbeuteln. Über diesen Kartons hing eine genauso bunte Auswahl von Gemüsen, Dörrprodukten und Süßigkeiten in Plastiktüten an Fleischerhaken, die wiederum an Metallschienen von der Decke hingen.
Hinter dem Kopf des Ladenbesitzers hing ein Spiegel, in den er nicht hineinsehen konnte, ohne sich den Hals zu verrenken, in welchem aber das gesamte Innere des Ladens zu überblicken war. Zwei Reihen nackter Stahlregale – spottbillige, freistehende, mannshohe Dinger – erstreckten sich gute vier Meter weit bis zur hinteren Ladenwand und schufen drei sehr schmale Gänge, einen in der Mitte und zwei außen. Am Ende des mittleren gab es eine Tür, die, wie Carver hoffte, zum Hinterausgang des Gebäudes führte. Andernfalls hätte er keinen Fluchtweg.
Er betrat den Laden und fing an, sich seine Waffen zusammenzusuchen. Er nahm drei Soßenflaschen, stellte sie auf ein Geschirrtuch, raffte das an den Ecken zusammen und drehte die Enden, bis sich die Flaschen in dem Tuch nicht mehr bewegen konnten. Jetzt hatte er eine primitive, aber wirksame Keule. Er nahm sie in die linke Hand, griff mit der rechten zu einem der Haken, an dem ein Netz mit Knoblauchknollen hing. Er entfernte das Netz und behielt den Haken.
Die einzigen Kunden waren zwei Frauen mittleren Alters, die ein paar Schritte entfernt standen und sich über eine Auswahl von getrockneten Pfefferschoten unterhielten, die an der Seitenwand präsentiert wurden. Ohne Vorwarnung, um seine Verhaltensänderung so drastisch wie möglich erscheinen zu lassen, ging Carver zwei Schritte auf sie und hob drohend den Haken, wobei er rief: »Gefährliche Männer im Anmarsch! Raus hier! Schnell!«
Die Frauen schauten ihn trotzig an und rührten sich nicht von der Stelle. Sie fingen an, ihn auf Chinesisch anzuschreien. Wahrscheinlich teilten sie ihm nicht die Uhrzeit mit, aber Carver hatte keine Zeit, sich zu streiten. Er fegte mit dem Haken durch ein Regal, sodass eine Hand voll Konservengläser – mit weißen, eingepökelten Hoden, wie es aussah – vor den Füßen der Frauen zerschellten. Die kämpferische der beiden verstummte. Die andere stieß einen kleinen Schrei aus. Carver schwang noch einmal drohend den Haken, und diesmal verstanden sie den Wink, eilten an ihm vorbei und auf die Straße.
Als er ihnen hinterherschaute, sah er die fünf Männer kommen. Sie waren noch fünf Meter entfernt und näherten sich mit dem stetigen, zielstrebigen Gang von Profis, die etwas zu erledigen haben. Carver sah, dass auch der Ladenbesitzer die Männer entdeckt hatte. Er blickte zu Carver, dann duckte er sich unter die Ladentheke. Sehr vernünftig, dachte Carver. Jetzt war er an der Reihe, seine Haut zu retten.
Er zog sich nach links in den Gang zurück, der am weitesten von der Theke entfernt war, und ließ die Männer kommen. Der Gang war so schmal, dass ihn nur ein Mann angreifen konnte.
Es sei denn natürlich, es kam einer von vorn und einer von hinten.
Der Mann in dem Armeehemd zeigte auf den Mittelgang, und zwei seiner Leute strebten darauf zu.
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