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Samuel Carver 05 - Collapse

Samuel Carver 05 - Collapse

Titel: Samuel Carver 05 - Collapse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Cain
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statt. Da wird eine Ausstellung zu sowjetischen Propagandaplakaten eröffnet. Ich lasse deinen Namen auf die Gästeliste setzen. Sei in einer Stunde dort.«
    »Danke, ich weiß das zu schätzen.«
    »Ja«, sagte sie, »das solltest du.«

27
    Kensington Park Gardens
    Alix hatte den Anruf in ihrem Schlafzimmer entgegengenommen, wo sie sich zurechtmachte. Schon Stunden vorher hatte sie entschieden, was sie zur Ausstellungseröffnung tragen würde: eine weiße Seidenbluse, dunkelblaue schmale Hosen und hochhackige Riemchensandaletten. Ein schlichter eleganter Look, der auf respektable Weise attraktiv war. Sie war bereits angezogen, hatte eine Halskette und Ohrringe dazu gewählt und sich zufrieden bestätigt, dass die Aufmachung die richtige war. Jetzt sah sie noch einmal in den Spiegel, noch ungläubig, dass Carver angerufen und sie sich bereit erklärt hatte, ihn wiederzusehen. Warum hatte sie das getan? Warum konnte sie die Vergangenheit nicht einfach abhaken und nein sagen?
    Wäre der Streit mit Azarow nicht gewesen, würde sie mit ihm zu der Party gehen und hätte den perfekten Grund gehabt, Carver abzuweisen. Aber wie es aussah, schmollte ihr sogenannter Geliebter noch im Ritz, zweifellos im Kreis gieriger junger Frauen, die nur zu bereit waren, ihn von den häuslichen Querelen abzulenken. Und was tat sie nun? Sich revanchieren?
    Sie stellte fest, dass sie ihre Aufmachung komplett ändern wollte. Nicht für Carver, sagte sie sich. Sie wollte ihn ganz bestimmt nicht verführen. Ihm sollte jedoch vollkommen klar werden, dass sie eine erfolgreiche, unabhängige Frau war, die sehr gut ohne ihn auskommen konnte – und ausgekommen war. Aber sie wollte auch hinreißend aussehen.
    Sie probierte mehrere Outfits an und entschied sich schließlich für ein tabakbraunes Seidenkleid. Die augenscheinlichzüchtige Länge wurde ausgeglichen durch einen perfekten Schnitt, der ganz subtil jeden Zentimeter ihres Körpers hervorhob und den Rundungen ihrer Brüste und Hüften schmeichelte. Sie band eine Schleife im Nacken, die das Kleid an Ort und Stelle hielt, und ließ die Enden über ihren nackten Rücken hängen.
    Jetzt musterte sie sich im Spiegel. Objektiv wusste sie, dass sie eine bewundernswerte Figur hatte – ihre Maße und Kleidergröße konnten nicht lügen. Doch darum war ihr Blick auf ihre Makel, die sie überall sah, nicht weniger kritisch. Als sie den Rücken streckte und den ohnehin flachen Bauch einzog, fragte sie sich, was Carver sähe, wenn er sie anblickte. Wäre sie für ihn noch die schöne junge Frau, die er damals geliebt hatte? Oder würden die Zeichen der Zeit, die für ihre Augen offensichtlich waren, jede Illusion zerstören, die er vielleicht noch hatte?
    Sie stellte sich vor, er stünde neben ihr. Selbst mit den hohen Absätzen war sie noch einige Zentimeter kleiner als er. Sie hob den Kopf, wie um ihn anzusehen, und war erleichtert, weil sich ihre Kinnlinie straffte. Eine Sekunde lang blickte sie sich in die Augen. Dabei kam ihr die Erinnerung an den ersten Tag in seiner Wohnung. Sie war ein Zufluchtsort für sie beide gewesen, ein sicherer Hafen nach einer gewaltvollen, lebensgefährlichen Nacht. Er hatte sie mit leichtem Stirnrunzeln konzentriert angesehen und gesagt: »Ihre Augen sind ein kleines bisschen ungleich.« Das war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. In dem Moment war sie wieder das kleine hässliche Entlein von früher gewesen, als sie wegen ihres Silberblicks so viel gehänselt worden war. Auch jetzt noch empfand sie den Schock, weil ihre geheimste Unsicherheit so nüchtern offengelegt wurde.
    Carver hatte ihre innere Qual sofort gesehen, ihre Verletzlichkeit erkannt und sich ernsthaft entschuldigt. »Sie habentolle Augen. Sie sind schön, irgendwie hypnotisch. Ich muss sie immer wieder ansehen, und jetzt weiß ich, warum.« Sie hatte ihm verziehen. Schließlich hatte er den Fauxpas begangen, weil er hinter ihre glänzende Fassade geblickt und die wirkliche Frau gesehen hatte. Und wie oft hatte sie sich schon gewünscht, ein Mann würde genau das tun?
    Sie hatte sein altes graues T-Shirt angehabt und es sich in seinem großen Ohrensessel bequem gemacht. Mit angezogenen Beinen hatte sie auf dem abgeschabten, weichen Leder in der Sonne gesessen, die durch das Fenster fiel, und sich so wohl, so selbstverständlich wohl gefühlt und dabei verblüfft zur Kenntnis genommen, dass sie die antrainierten Schutzschilde alle fallen gelassen hatte.
    Und dann ließ sie die Erinnerung an sich heran,

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