Samuel Carver 05 - Collapse
Betr. Zorn. Du lagst richtig. Ax
Sofort schrieb Carver eine Nachricht an Schultz. Es kann losgehen. An der vereinbarten Stelle 16 Uhr. Auf mein Signal.
Dann antwortete er Alix: Danke. Du siehst hinreißend aus. Carver sah lächelnd, wie sie aufblickte und ihn unter den Zuschauern suchte. Sie fand ihn nicht, aber er wusste, als sie die Beine übereinanderschlug und sich durch die Haare strich, dass sie das nur für ihn tat.
Er lehnte sich an und sah dem Tennisspiel zu. Quinton Arana hatte es ins Viertelfinale geschafft. Wenn ich den Platz schon einmal habe, kann ich es ebenso gut genießen, dachteCarver. Zorn würde nirgendwohin gehen, solange der junge Amerikaner auf dem Platz stand.
Arana gewann in fünf Sätzen. Zorn und seine Gäste legten im dritten Set eine Pause ein, um zu einem späten Lunch zu gehen. Carver folgte ihnen nicht. Er wollte nicht im Restaurant entdeckt werden. Und sollte Zorn sich aus irgendeinem Grund entscheiden, das Turnier zu verlassen, würde Alix Bescheid geben. Das war der zweite Gefallen, um den er sie gebeten hatte. Aber Zorn wollte noch nicht gehen. Er kam mit seiner Gruppe zur zweiten Hälfte des Matches zurück und bejubelte jeden Punkt, den Arana erzielte, applaudierte aber auch höflich, wenn dessen Gegner Erfolg hatte. Am Ende des Spiels stand Alix auf, ebenso die andere Frau unter den Gästen, und verließ mit ihr die Tribüne. Carver überlegte gerade, wieso Frauen nie alleine zur Toilette gehen konnten, als er eine neue SMS erhielt.
Muss dich sprechen. Komm zum Eingang für Deb-Inhaber. Sofort! Ax
Da lief etwas schief. Anders war die SMS nicht zu verstehen. Carver stand auf und begab sich zum Ausgang.
67
Knapp zwei Kilometer vom Turniergelände entfernt bog der alte Madza in eine Parkbucht an der Southside Common, die, wie der Name schon sagt, an der Südseite des Wimbledon Common verlief. Sie befand sich direkt hinter der Kreuzung Murray Road, einer für Wimbledon typischen Allee mit großen Vorstadtvillen, wo ein durchschnittliches Grundstück nicht unter zwei Millionen Pfund zu haben war.
»Da sind wir, Boss«, sagte Kevin Cripps.
»Danke«, antwortete Schultz und stemmte seine massige Gestalt aus dem engen Beifahrersitz auf den breiten Rasenstreifen neben der Straße. Dahinter führte ein asphaltierter Weg entlang, an dem zwei Parkbanken ungefähr zwanzig Meter weit auseinanderstanden. Eine davon genau gegenüber dem Mazda. Schultz ging darauf zu. Er trug die Plastiktüte, die Carver ihm gegeben hatte. Während Cripps sich tiefer in den Fahrersitz sinken ließ, als wollte er ein Nickerchen halten, stellte sich Schultz neben die Bank und schaute sich um.
Er ging in die Hocke, kniff die Augen zusammen und spähte konzentriert an dem Mazda vorbei zur anderen Straßenseite, wo die Baumreihe den Verkehr auf der Common abschirmte. Schultz zog eine imaginäre Linie von seiner Position durch den Mazda zu einem Baum dahinter. Aus der Plastiktüte nahm er die zwei durch Schnur verbundenen Rasenpflöcke. Gleich neben seinen Füßen wuchs ein höheres Grasbüschel. Dahinter stach er einen Pflock in die Erde, am Anfangspunkt der imaginären Linie. Den anderen Pflock stach er so in den Boden, dass die Schnur straff gespannt war.
Schultz peilte erneut. Beide Pflöcke, der Wagen und der Baum lagen auf einer Geraden.
Nun setzte er sich auf die Bank und betrachtete sehr sorgfältig den Wagen und den Baum, stellte aus seinem leicht verschobenen Blickwinkel ihre relative Position fest. Dann ging er zu den Rasenpflöcken und visierte neu, um sogleich den Blickwinkel von der Bank aus zu prüfen. Jetzt war er zufrieden.
Der erste Teil der Aufgabe war erledigt.
68
Derek Choi saß unweit der Musikbühne an einem Tisch auf dem Tea Lawn, von wo er den Eingang der Debenture-Karteninhaber im Auge hatte. Bei ihm waren zwei seiner Restaurantangestellten, die ebenfalls Agenten des Staatssicherheitsministeriums waren. Die Stimme der Agentin, die er auf der Tribüne des Centre Courts postiert hatte, sagte in seinem Ohr: »Carver ist aufgestanden. Er geht zum Ausgang.«
Choi schaltete auf eine andere Leitung. »Achtung! Zielperson hat sich in Bewegung gesetzt. Halten Sie sich bereit und warten Sie auf mein Zeichen.«
Auf der Aorangi-Picnic-Terrasse, dem abschüssigen Rasen, der sonst als Henman Hill oder Murray Mount bezeichnet wurde, standen drei Chinesen – zwei Männer in Jeans, T-Shirt und Fliegerjacke und eine Frau mit Trägerhemd, Minirock und Converse-Turnschuhen – in aller Ruhe
Weitere Kostenlose Bücher