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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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und orange gehalten und mit Mobiliar im Stile der Sechzigerjahre eingerichtet war. Gabriela betrachtete eine Reihe von Schwarzweißfotos an einer der Wände, ehe sie sich erkundigte: »Hast du schon einen neuen Eintrag für dein Wörterbuch?«
    »Ja, da ist etwas«, antwortete ich und versuchte zu im provisieren, denn in Wirklichkeit hatte ich gar nicht weiter darüber nachgedacht. »Eine Art schnelles Karma, das zuschlägt, wenn uns ein Schnitzer unterläuft. Wenn du zum Beispiel über einen Freund erzählst, wie geizig er ist, und er dich noch am selben Tag mit einem Geschenk überrascht. Oder du schreist jemanden an, und wenn du aus dem Haus kommst, rennst du gegen einen Laternenpfahl. Im Deutschen gibt es dafür eine Redensart: ›Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.‹«
    »Das ist gut.«
    »Als würde jemand bemerken, wenn wir uns danebenbenehmen und uns die Ohren lang ziehen, damit wir reagieren. Dieses Karma braucht keine weiteren Leben, es wird quasi mit dem Kleingeld aus der Hosentasche bezahlt.«
    Während wir noch überlegten, was wir zu essen bestellen sollten, brachte uns der Kellner mit der Space-Frisur den Wein. Ich hob das Glas, um mit Gabriela anzustoßen, und war kurz versucht »Auf uns!« zu sagen, verkniff es mir aber und prostete ihr wortlos zu.
    Nach dem Essen, das unter unverbindlichem Geplauder vorübergeplätschert war, erhoben wir uns zum Gehen. Etwas ungeschickt half ich Gabriela in den Mantel.
    »Wann werde ich dich wiedersehen?«, fragte ich unter Missachtung meines Vorsatzes, sie nicht unter Druck zu setzen.
    »Ich weiß noch einen Eintrag für dein Wörterbuch«, sagte sie, ohne auf meine Frage zu antworten. »Suche einen Begriff für die Unfähigkeit mancher Menschen, Gegenwartsmomente einfach zu genießen.«
    »Das war nicht nett«, protestierte ich.
    Gabriela lachte.
    »Schreib es mir ins Karma.«

10000 ARTEN, »ICH LIEBE DICH« ZU SAGEN
    Jeder Verliebte spürt die Versuchung, die Vergangenheit der geliebten Person erforschen zu wollen. Man will die Geliebte besser verstehen und möglichst nicht enttäuschen. Ich wusste fast nichts über Gabrielas Vergangenheit außer, dass sie in Osaka gelebt hatte und Japanisch sprach, also verordnete ich mir noch am selben Abend einen Crashkurs in japanischer Kultur.
    Meine Mittel waren beschränkt. Ich verfügte über Der Seemann, der die See verriet von einem Autor, der so hieß wie meine Katze, sowie eine Anthologie mit Haikus und anderen kurzen japanischen Gedichten, die ich vor Jahren geschenkt bekommen hatte.
    Bei den Haikus, diesen kleinen Perlen japanischer Dichtkunst, fand ich eins von Issa, das mir ideal er schien, um es Mishima vorzutragen, die mich lässig vom Sofa aus beobachtete.
     
    Die Katze hat geschlafen:
    Sie streckt sich, gähnt und geht
    auf Liebe aus.
     
    Mishima antwortete mit ein paar Schwanzschlägen, bewegte sich aber nicht von ihrem Platz. Wahrscheinlich war sie noch zu jung, um auf Liebe auszugehen. Anschließend las ich ihr ein japanisches Volkslied vor, das ich reizend fand:
     
    Zwei Dinge werden sich nie verändern,
    nicht heute und nicht morgen,
    denn es gibt sie, seit die Zeit Zeit ist:
    das Fließen des Wassers
    und das süße und sonderbare Wesen der Liebe.
     
    Das schien mir allerdings eine gute Definition für die Liebe, denn wäre sie nicht sonderbar und unvorhersehbar, wäre ich wohl kaum erneut mit Gabriela verabredet.
    Ich fühlte mich beinahe gefährlich glücklich – der Abgrund der Liebe, von dem Stendhal gesprochen hatte – und strotzte vor Energie. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass Verliebte in Wirklichkeit nicht in eine andere Person, sondern in das Leben selbst verliebt sind. Genau so ging es auch mir.
    Das einzige Problem war, dass ich nicht wusste, wie lange ich meine Gefühle für mich behalten konnte. Ungeachtet meiner Vorsätze spürte ich, sobald ich in ihrer Nähe war, das Verlangen, ihr geradeheraus meine Liebe zu gestehen. Das aber kam definitiv nicht infrage. Vorerst hatte sie mir nur ihre Freundschaft angeboten, und ich musste mich daran klammern wie an den letzten Strohhalm. Was mich nicht daran hinderte, für mich privat die ungeheuerlichsten Liebeserklärungen zu proben.
    Dafür kam mir ein Büchlein aus Titus’ Bibliothek mit dem Titel 10 000 Ways to Say I Love You wie gerufen.
    Kaum zu glauben, dass es so viele Varianten geben soll, doch der Autor – ein gewisser Godek – hatte sich vorgenommen, den Guinness-Rekord in dieser Disziplin zu brechen. Hier ein

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