Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
paar von den extravagantesten Vorschlägen:
* Sich mit einem möglichst ungiftigen Filzstift ICH LIEBE DICH auf die Zähne schreiben (auf jeden Zahn einen Buchstaben) und breit lächeln, damit die geliebte Person es lesen kann.
* Überall in ihrer Gegend Plakate mit einem Foto von dir und ihrem Namen aufhängen, auf denen steht: ICH LIEBE DICH.
* Es ihr mit einem kleinen Löffel an ein Glas schlagend durchs Telefon morsen (wenn sie das Morsealphabet kennt).
* Ihr dich selbst in Packpapier eingewickelt zum Geburtstag schenken.
* Eine Pizza mit ihr teilen, auf der aus den Zutaten ein Herz geformt ist.
* Die Augen schließen, damit sie dich küsst, und dir vorher ICH LIEBE DICH auf die Lider schreiben.
Das letzte gefiel mir am besten, aber man muss wohl im Teenageralter sein, damit so etwas nicht lächerlich wirkt. Ich persönlich bevorzugte die flammenden Shakespeare-Verse:
Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifl’, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur an meiner Liebe nicht.
WER IST LOBSANG RAMPA?
Infolge meines neuen Gemütszustands und der Aussicht auf eine freie Woche empfing ich Valdemar an diesem Abend in aufgeräumter und entspannter Stimmung.
Im Gegensatz zu mir zeigte sich mein Freund diesmal düster und pessimistisch, als hätte er eine Nachricht von seinen Verfolgern erhalten und wäre nun in akuter Gefahr. Bei ausgeschaltetem Licht rauchte er eine ganze Zigarette, bevor er sich entschloss zu reden. In der Zwischenzeit hatte ich mir ein Glas Wein eingeschenkt und beobachtete die schweigende, rauchende Gestalt in meinem Wohnzimmer.
Valdemar hatte den Rucksack, von dem er sich niemals trennte, zu seinen Füßen abgestellt und fragte – mehr sich selbst, wie mir schien – in bedächtigem Ton: »Wer war Lobsang Rampa? Jedenfalls nicht der, für den wir ihn hielten. Millionen von Menschen, die Das dritte Auge gelesen haben, waren überzeugt, er sei ein tibetischer Lama mit übernatürlichen Fähigkeiten, wie er in seinem Buch behauptete. Und obwohl es jahrzehntelang ein Bestseller war, gab es niemals ein Fernsehinterview mit ihm, was sein Ansehen nur noch steigerte, denn die Leute lieben solche Rätsel. So ähnlich war es später auchmit Carlos Castaneda. Sein größter Trumpf war, dass keiner wusste, wie er aussah. Aus demselben Grund war es den Menschen lieber, sich die dunkle Seite des Mondes nur vorzustellen. Die Wirklichkeit oder das, was wir dafür halten, hat die meisten nie interessiert.«
»Und wer ist nun also Lobsang Rampa?«, fragte ich.
»Niemand, das ist das Problem. Lobsang Rampa als solchen gibt es nicht. Nachdem er alle Welt mit der Lamageschichte getäuscht hatte, wurde von ein paar Journalisten der Times aufgedeckt, dass Lobsang in Wirklichkeit ein englischer Klempner namens Henry Hoskins war, der Tibet nie gesehen hatte. Das Erstaunlichste daran ist, dass niemand enttäuscht zu sein schien, denn die Bücher verkauften sich weiter. In was für einer Welt leben wir denn? Verstehst du jetzt, warum ich Heimweh nach der Zukunft habe?«
»Ich verstehe, dass manche Menschen sich verstellen müssen, weil das Publikum es von ihnen verlangt«, sagte ich und war selbst überrascht, mich Francis Amalfis Berufsstand verteidigen zu hören.
»Was willst du damit sagen?«
»Vielleicht wäre der Autor lieber unter seinem eigenen Namen aufgetreten, aber dann hätte ihm niemand Beachtung geschenkt, angefangen bei den Verlagen. Die Welt wartete auf Lobsang Rampa, nicht auf Henry Hoskins.«
»Und Castaneda ?«
»Ich glaube, der wollte einfach nur ganz in Ruhe sein Leben leben, während sich die Lizenzen für seine Bücher verkauften. Eine ziemlich gesunde Einstellung.«
»Dann ist da noch der Fall Carnegie.«
»Du meinst Dale Carnegie? Der den Leuten beibringenwollte, wie man Freunde gewinnt?«, sagte ich, verblüfft, dass Valdemar diesen Autor überhaupt kannte.
»Genau der. Hat der Welt sein ganzes Leben lang er klärt, wie man leben soll, und bringt sich am Ende selber um, obwohl sein Verlag versichert, das sei ein haltloses Gerücht. Vielleicht hatten sie Angst, dass die Leser ihr Geld zurückfordern würden.«
»Das heißt ja nicht, dass die Ratschläge nicht gut waren. Es gibt ja auch Lungenärzte, die zwei Schachteln am Tag rauchen, und trotzdem die Patienten vor den Risiken des Rauchens warnen.«
»Willst du mir weismachen, man bräuchte kein Vorbild zu sein, wenn man etwas predigt? Man könnte eine Sache denken, eine andere verkünden und
Weitere Kostenlose Bücher