Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen
reizte auf jeden Fall zum Lesen des Klappentextes. Das Buch handelte von Leben und Einsamkeit in der postsowjetischen Ukraine: Viktor, ein gescheiterter Schriftsteller, adoptiert den Pinguin des Kiewer Zoos. Denn der Zoo hat kein Geld mehr, seine Tiere zu ernähren. Zusammen erleben sie verschiedene Abenteuer, geraten allerdings bald in einen Schlamassel rund um die russische Waffenmafia, aus dem sie nur schwer wieder herausfinden.
Angetan von meinem Fund beschloss ich, den Pinguin und seinen Beschützer mit nach Hause zu nehmen. Eigentlich hätte ich für Gabriela auch gern etwas ausgesucht, nur was? Es ist nicht leicht, den Geschmack von jemandem zu treffen, den man kaum kennt, obwohl ich immerhin wusste, dass sie Somerset Maugham und Graham Greene mochte.
In solchen Fällen schenkt man am besten das, worauf man selber Lust hat. Doch Vorsicht ist geboten, denn die Auswahl eines Buchtitels kann verräterisch sein. Es ist ein Unterschied, ob man einer Frau Sag mir, dass du mich liebst, auch wenn es nicht wahr ist oder Die Tochter der Hündin schenkt.
Also fragte ich nach dem Roman Der Fehler von Antonis Samarakis. Das Buch scheint zunächst ein Krimi, entwickelt sich aber im weiteren Verlauf zur Geschichte einer Freundschaft. Ich hatte es mit Tränen in den Augen gelesen, was mir äußerst selten passiert. Ja, das würde Gabriela gefallen.
Ich ließ mir die beiden Bücher als Geschenk einpacken. Wenn ich mir einen Roman kaufe, lasse ich ihn meist so lange eingepackt, bis ich das Gefühl habe, dass ich mir die Belohnung verdient habe. Dann schenke ich mir das Buch und freue mich wie ein Schneekönig.
Alle einsamen Menschen, die ich kenne, haben solche persönlichen Rituale. Einmal habe ich jemanden kennengelernt, der sich selber Briefe schrieb und sie auch abschickte. Wenn ihm dann sein eigenes Schreiben, ordnungsgemäß abgestempelt, zugestellt wurde, machte er den Brief ganz behutsam auf und las ihn gespannt, als käme er von weit her. Am nächsten Tag verfasste er eine ausführliche Antwort. Drei Tage später lag der Brief bei ihm im Kasten, und alles ging wieder von vorne los.
Ich denke, das ist eine gute Art, sich selbst kennenzulernen.
DER FEHLER
Als Gabriela das Café der Buchhandlung betrat, saß ich bei einem »Mönchstee«. Es schien mir das angemessene Statement: Zurückhaltung und Enthaltsamkeit.
Sie sah fantastisch aus, wobei das alle Verliebten denken, wenn sie ihre Angebeteten anschauen. Sie hielt mir die Wange zum Kuss hin – diesmal hatte ich mich rasiert –, und mich umfing ein sanftes Parfum mit Mandarinennote.
Sie bestellte das Gleiche wie ich. Während die Bedienung sich abwandte, um den Tee zuzubereiten, legte ich den Roman auf den Tisch, den ich für Gabriela ausgesucht hatte.
»Was ist das denn?«, rief sie überrascht aus.
»Lass mich nachdenken – wir befinden uns in einer Buchhandlung, also nehme ich mal an, es wird ein Buch sein«, versuchte ich zu scherzen.
»Woher weißt du, dass ich heute Geburtstag habe? Hast du einen Detektiv engagiert?«
Zunächst war ich etwas gekränkt durch diese Unterstellung, fand dann aber diesen Zufall doch zu komisch, um mich zu ärgern. Dennoch gab ich mich leicht kühl und distanziert.
»Das wusste ich nicht, aber herzlichen Glückwunsch trotzdem. Im Übrigen halte ich es wie der Märzhase bei Alice im Wunderland : Ich feiere lieber die Nichtgeburtstage.«
»Dann ist das ja ein irrer Zufall«, lächelte sie überrascht.
»Ja, so etwas kommt vor. Neulich bin ich ganz zufällig zweimal in dasselbe Taxi eingestiegen, aber ich glaube nicht, dass ich daraus eine Botschaft ableiten sollte. Das ist wie mit meiner Uhr hier, weißt du, was toll an ihr ist?«
Ich krempelte mir den Ärmel hoch, damit sie das antike Stück sehen konnte, das ich am Handgelenk trug. Ich hatte sie direkt von meinem Großvater geerbt. Genau in dem Moment war sie damals stehen geblieben, was mich in meiner Überzeugung noch bestärkte.
»Zumindest zweimal am Tag zeigt sie die Zeit richtig an.«
Gabriela zog die Brauen hoch, als ob sie nicht sicher war, ob ich mich über sie lustig machte oder einfach nur albern war.
»Willst du es nicht aufmachen?«, fragte ich ungeduldig.
Mit langen Fingern riss sie das Papier auf. Als Der Fehler zum Vorschein kam, schaute Gabriela mit unbewegter Miene darauf, ohne es zu berühren. Eine Strähne ihres Haars war auf das Buch gefallen und verdeckte den Namen des Autors.
»Das kenne ich nicht«, sagte sie tonlos.
»Deswegen schenke
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