Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
erinnerte ihn Yori. »Beurteile den Tag nicht nach dem, was du erntest.«
»Schon, aber was säe ich denn?« Jack seufzte und vergrub den Kopf in den Händen. »Vielleicht hat Kazuki ja doch Recht und ich tauge nicht zum Samurai.«
»Du hörst doch wohl nicht auf Kazuki!«, rief Akiko empört. »Er vergiftet deine Gedanken! Natürlich taugst du zum Samurai. Sonst hätte Masamoto-sama dich nicht als Sohn angenommen oder in seine Schule eingeladen. Ein richtiger Samurai zu werden braucht Zeit.«
Niedergeschlagen starrte Jack aus dem kleinen Fenster seines Zimmers in der Halle der Löwen. Der Nachthimmel war mit Sternen übersät. Der abnehmende Mond tauchte die Gebäude der Niten Ichi Ry ū in gespenstisches SchwarzWeiß.
Vom Horizont her zogen Gewitterwolken auf und verschluckten nach und nach die Sterne. Kalter Wind fuhr über den offenen Hof und die Gebetsfahnen am Eingang zur Buddha-Halle begannen zu knattern wie die Segel eines Schiffes.
Jack stellte sich vor, er stände neben seinem Vater auf dem Deck der Alexandria und lernte, nach den Sternen zu navigieren. Darauf verstand sein Vater sich. Er war ein geschickter Steuermann, der die Namen der Sterne und Planeten kannte und mit ihrer Hilfe sogar bei stürmischer See die Position und den Kurs eines Schiffes berechnen konnte.
Jack war von Geburt an dazu bestimmt, der Steuermann eines Schiffes zu sein, nicht ein Samurai.
Das Leben, das er in Japan führte, lastete plötzlich auf
ihm wie ein bleiernes Gewicht. Sein Magen schmerzte, bis Jack meinte, es nicht mehr aushalten zu können – das tägliche Japanischsprechen, die starre Etikette des japanischen Lebens, sodass er immer ging wie auf Eierschalen, die quälend langsamen Fortschritte beim Training, die ständige Bedrohung durch Drachenauge, die Ungewissheit, ob er gegen ihn überhaupt eine Chance hatte, die klaffende Lücke, die seine Eltern hinterlassen hatten, und der Gedanke an Jess, die allein zu Hause zurückgeblieben war und der das Schicksal des Arbeitshauses drohte.
In seiner Verzweiflung hätte er fast die vermummten Gestalten übersehen, die in diesem Augenblick über den Hof huschten. Sie eilten im tiefsten Schatten der windgeschützten Seite des Butokuden entlang und verschwanden in der Halle.
Entschlossen, diesmal herauszufinden, wer die Eindringlinge waren, packte Jack sein Schwert und eilte aus dem Zimmer.
18
Irezumi
»Bist du da, Akiko?«, fragte er flüsternd durch die papierdünne Tür ihres Zimmers.
Niemand antwortete. Er zog die Schiebetür auf und spähte hinein. Akiko war nicht zu sehen. Ihr Futon war unberührt, obwohl sie inzwischen im Bett hätte liegen müssen.
Vielleicht war sie ins Badehaus gegangen, dachte Jack. Oder …
Er schloss die Tür und eilte weiter. In Yoris Zimmer brannte noch eine Laterne.
»Yori?«, rief er leise.
Der kleine Junge öffnete die Tür.
»Hast du Akiko gesehen?«
Yori schüttelte den Kopf. »Seit dem Abendessen nicht mehr. Ist sie nicht in ihrem Zimmer?«
»Nein. Ich glaube, sie ist …« Jack verstummte verwirrt. Auf dem Boden von Yoris Zimmer lagen zahllose Papierkraniche. »Was machst du denn da?«
»Ich falte Kraniche.«
»Das sehe ich, aber Origami im Bett! Du nimmst Sensei Yamadas Unterricht viel zu ernst. Hör zu, wenn du Akiko kommen hörst, sag ihr doch, dass ich in die Übungshalle gegangen bin.«
»Die Übungshalle? Und du wirfst mir vor, ich würde zu viel üben!« Yori warf einen misstrauischen Blick auf das Schwert in Jacks Hand. »Ist es nicht zu spät, jetzt noch mit dem Schwert zu üben?«
»Ich habe keine Zeit, das zu erklären. Sag Akiko einfach Bescheid.«
Jack rannte weiter, ohne Yoris Antwort abzuwarten.
Am Haupteingang der Halle der Löwen angekommen, überlegte er kurz, ob er Yamato und Saburo alarmieren sollte, doch sie schliefen bestimmt schon und er hatte schon zu viel Zeit verloren. Wenn er sie erst noch wecken musste, waren die Eindringlinge bei seinem Eintreffen im Butokuden vielleicht schon wieder verschwunden.
Er rannte über den Hof. Das Unwetter kam rasch näher und kalte Böen stachen wie Messer durch seinen dünnen Nachtkimono. Er drückte sich an die Mauer des Butokuden und schob sich an ihr entlang zum Eingang. Vorsichtig steckte er den Kopf um den hölzernen Türrahmen und blickte hinein.
Im Dämmerlicht der großen Halle konnte er einige Gestalten ausmachen, die in einem engen Kreis innerhalb der Nische saßen. Aus der Entfernung konnte er allerdings weder die Gesichter erkennen noch
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