Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
langsameren Geschwindigkeit. Nach einer Weile fühlte er sich so sicher, dass er sich traute, die Augen zu schließen. Er konzentrierte sich darauf, den Stock zu fühlen und zu hören, statt ihn zu sehen.
Dann ließ er ihn schneller kreisen.
Bei jeder Umdrehung spürte er den kühlen Luftzug an den Ohren.
Jetzt beherrschte er den Stock.
»Au!«, schrie er. Schmerzen schossen ihm durch das Bein.
Er hatte sich mit dem Stock gegen das Schienbein geschlagen. Unwillkürlich ließ er ihn los und der Stock flog klappernd über den Hof. Jack eilte ihm hinkend nach.
Der Stock rollte über das Pflaster und blieb liegen – ausgerechnet vor Kazuki.
Jack bückte sich, um den b ō aufzuheben, doch bevor er ihn packen konnte, bekam er einen Schlag auf den Handrücken. Er fuhr hoch und sah Kazuki böse an.
»Vorsicht, Gaijin«, sagte Kazuki und sah ihn mit gespielter Unschuld an.
Hasserfüllt starrten die beiden sich an und Jack machte sich für einen Kampf bereit.
»Das solltest du besser bleiben lassen«, flüsterte Kazuki und vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass Sensei Kano nicht in der Nähe war. »Du würdest eh nicht an mich herankommen.«
Er hielt Jack seinen Stock vor die Nase und zwang ihn, den Kopf zurückzunehmen. Jack wich einen Schritt zurück, täuschte eine Bewegung mit der linken Hand vor, bückte sich und griff mit der rechten Hand nach dem b ō . Doch Kazuki hatte damit gerechnet und schlug ihm mit der Spitze seines Stocks auf die Finger. Klappernd fiel der b ō wieder auf den Boden.
»Die Schüler, denen der Stock immer wieder aus der Hand fällt, üben am besten mit offenen Augen, bis sie ihn besser halten können«, sagte Sensei Kano vom anderen Ende des Hofs.
Jack und Kazuki standen einander stumm gegenüber und warteten darauf, dass der andere sich bewegte.
»Aus dir wird nie ein Samurai, egal ob mit offenen oder geschlossenen Augen«, höhnte Kazuki leise. »Selbst du musst doch allmählich merken, dass dich an der Schule niemand mag. Deine sogenannten Freunde sind das doch nur aus Höflichkeit, weil Masamoto-sama es ihnen befohlen hat.«
Jack sah ihn wütend an, versuchte jedoch, sich zu beherrschen.
»Und der Schüler, der da ständig redet, wäre gut beraten, seine Kraft auf das Üben zu konzentrieren«, fügte Sensei Kano spitz hinzu.
Doch der Schaden war angerichtet. Kazuki hatte einen wunden Punkt berührt.
Jack konnte nicht bestreiten, dass sein Spott ein Körnchen Wahrheit enthielt. Yamato hatte ihn bei seiner Ankunft in Japan nur neben sich geduldet, weil sein Vater es ihm befohlen hatte. Erst ihr Sieg im Schulwettbewerb hatte sie zu Freunden gemacht. Und Akiko war zwar seine beste Freundin, aber sie verbarg ihre Gefühle so gut, dass Jack nicht hätte sagen können, ob sie die Freundschaft aufrichtig empfand oder nur vortäuschte.
Vielleicht hatte Kazuki Recht.
Jack fürchtete, dass Akiko ihm etwas verheimlichte, obwohl sie bestritt, die geheimnisvolle Gestalt der vergangenen Nacht gewesen zu sein.
Kazuki sah die widerstreitenden Gefühle auf Jacks Gesicht und grinste.
Stumm bewegte er die Lippen. »Geh heim, Gaijin.«
17
Samen säen
»Geh heim, Gaijin! Geh heim, Gaijin! Geh heim, Gaijin!«
Starr vor Angst saß Jack im Lehnstuhl seines Vaters und sah zu, wie Drachenauge den Satz immer wieder mit seinem Schwert in die Wände des elterlichen Hauses einritzte. Aus den purpurnen Buchstaben tropfte es rot wie aus offenen Wunden und erst jetzt begriff Jack, dass Drachenauge das Blut seines Vaters als Tinte benutzte.
Irgendetwas krabbelte auf ihn zu. Jack drückte den Portolan fester an die Brust. Vier faustgroße schwarze Skorpione krochen über den Boden und seine nackten Beine hinauf. Sie hatten ihre giftigen Stachel drohend aufgerichtet …
»Kommst du?«
Akikos Stimme riss Jack aus dem Schlaf. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. Die Morgensonne strömte hell durch das kleine Fensterchen seiner Kammer.
»Ich … bin noch nicht ganz fertig … geh schon voraus«, antwortete Jack und schlug die Decke zurück. Seine Stimme zitterte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Akiko von der anderen Seite der Schiebetür.
»Ja … ich bin nur müde.«
Doch er war nicht nur müde. Akiko hatte ihn aus einem Albtraum geweckt.
»Wir treffen uns zum Frühstück in der Halle der Schmetterlinge«, fügte er hastig hinzu.
»Aber sei heute pünktlich«, ermahnte Akiko ihn. Dann hörte er, wie sich ihre leichten Schritte auf dem Gang draußen entfernten.
Erschöpft von
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