Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
brachte ein halbherziges Lächeln zustande. Sein Freund wollte ihn trösten. »Danke, Jack, natürlich helfe ich dir. Du weißt, ich würde nie eine Gelegenheit auslassen, dich zu verhauen!«
Am Abend hörte Jack Yori in seinem Zimmer schluchzen. Jack klopfte an seine Tür.
»Herein«, schniefte Yori.
Jack drückte die Schiebetür auf und trat ein. Im Zimmer war kaum Platz zu stehen, geschweige denn zu sitzen, nicht nur weil das Zimmer so klein war, sondern weil überall Papierkraniche standen. Trotzdem faltete Yori mit fieberhafter Hast immer neue.
Jack schob einige Kraniche zur Seite und setzte sich neben ihn. Yori sah ihn nicht an, Jack beschloss deshalb, ihm bei seiner Aufgabe zu helfen. Doch nachdem er den fünften Kranich gefaltet hatte, konnte er seine Neugier nicht mehr bezähmen.
»Warum faltest du eigentlich so viele Kraniche, Yori? Du hast das Koan doch gelöst.«
»Senbazuru orikata«, erwiderte Yori mürrisch.
»Was bedeutet das?«, fragte Jack und runzelte verwirrt die Stirn.
Yori schien über die Ablenkung von seiner Arbeit verärgert. »Der Legende zufolge bekommt jeder, der tausend Kraniche faltet, von einem Kranich einen Wunsch erfüllt.«
»Wirklich? Und was wünschst du dir?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
Jack konnte es sich denken. Da Yori nicht zu einem Gespräch aufgelegt schien, ließ er das Thema auf sich beruhen. Sie schwiegen beide und Jack stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Er trat an das kleine Fenster, blickte über den Hof und betrachtete die tanzenden Schneeflocken. Wenn er die Geduld gehabt hätte, tausend Kraniche zu falten, hätte er auch einen Wunsch gehabt – denselben, den er dem Daruma anvertraut hatte.
Seine Gedanken wanderten zu Jess. Womit war sie in diesem Augenblick beschäftigt? Hoffentlich frühstückte sie am Morgen bei Mrs Winters. Er wagte nicht, sich vorzustellen, was sonst sein könnte.
Um nicht durch seine eigenen melancholischen Gedanken die gedrückte Stimmung im Zimmer weiter zu senken, nahm er schnell wieder ein Blatt Papier auf und begann einen Kranich zu falten.
Der Stapel Papier war bald aufgebraucht. Yori dankte ihm für seine Hilfe. Er würde am folgenden Tag wieder Papier bekommen. Zwar brachte er kein Lächeln zustande, aber er wirkte etwas weniger niedergeschlagen und hatte aufgehört zu weinen.
Jack ging, um sich schlafen zu legen. Er schob die Tür zu seinem Zimmer auf und blieb wie angewurzelt stehen.
Jemand hatte sein Zimmer verwüstet.
Der Futon war aufgerollt und der Länge nach aufgeschlitzt, Festtagskimono, Trainingsjacke und Übungsschwert lagen auf dem Boden. Der Daruma und der Bonsai waren vom Fenstersims hinuntergefallen. Der kleine Baum lag umgekippt und mit bloßen Wurzeln auf der Seite, die Erde war überall verstreut.
Jacks erster Gedanke galt Kazuki. Ihm und den Mitgliedern der Skorpionbande traute er so etwas sofort zu.
Er sah sich suchend um. Fehlte etwas? Zu seiner Erleichterung entdeckte er Masamotos Schwerter unter dem Festtagskimono und die Zeichnung seiner Schwester lag zwar zerknittert, aber ansonsten heil, unter dem Topf des Bonsai. Auch sein Inro war noch da. Erst als er unter dem Futon nachsah, wusste er, was fehlte.
Er rannte durch den leeren Gang zu Kazukis Zimmer und riss die Tür auf.
»Wo ist es?«, rief er anklagend.
»Was denn?«, antwortete Kazuki empört. Er polierte gerade ein blitzendes Samuraischwert in Schwarz und Gold, das sein Vater ihm zur Feier seiner Aufnahme in den Kreis der Drei geschenkt hatte.
»Du weißt genau, was ich meine. Gib es mir wieder!«
Kazuki starrte Jack böse an. Sein linkes Auge war nach dem Schlag, den er beim Gassenlauf abbekommen hatte, immer noch geschwollen und verfärbt. »Raus aus meinem Zimmer!«, rief er. »Für was für einen Samurai hältst du mich denn, wenn du glaubst, dass ich dich bestehle? Das tut vielleicht ein Gaijin, aber nie im Leben ein Japaner.«
Auf Jacks verwirrten Blick hin breitete sich ein schadenfrohes Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Aber wenn du den Dieb findest, sag mir Bescheid, dass ich mich bei ihm bedanken kann.«
Jack fluchte stumm. Kazuki hatte offenbar trotz seiner Überheblichkeit nichts mit dem Einbruch zu tun. Vielleicht hatte Hiroto das getan, um sich dafür zu rächen, dass Jack ihn bei den Prüfungen geschlagen hatte. Jack sah den leeren Gang entlang und erstarrte.
Aus seinem Zimmer huschte in diesem Augenblick eine ganz in Weiß gekleidete Gestalt. In der Hand hielt sie ein in Leder gebundenes
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