Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
dann?«
Jack zögerte. Er wollte kein unnötiges Risiko eingehen, indem er anderen erzählte, wo er das Logbuch seines Vaters versteckt hatte. Als er zusammen mit Emi die Burg Nijo besucht hatte, hatte er sich unter dem Vorwand eines dringenden Bedürfnisses für kurze Zeit entschuldigt und den Portolan hinter dem Wandteppich mit dem weißen Kranich verborgen. Dort war er vorerst sicher. Ein besseres Versteck gab es nicht, allerdings nur solange niemand anders davon wusste.
»Du kannst uns vertrauen, Jack«, drängte Akiko. »Und wenn wir wissen, wo das Buch ist, können wir dir helfen, es zu bewachen. Drachenauge wird bald merken, dass er das falsche Buch mitgenommen hat, und dann nach dem richtigen suchen.«
Jack sah die beiden an. Sie waren seine besten Freunde, er musste ihnen vertrauen. Außerdem hatte Akiko Recht, vielleicht konnten sie ihm helfen. Aber alles wollte er ihnen nicht sagen – noch nicht.
»Ich habe euch doch erzählt, dass ich mit Emi noch einmal in Nijo war …?«
»Stimmt«, sagte Akiko kühl.
»Tut mir leid, dass ich es dir damals nicht gleich gesagt habe, aber du erzählst mir auch nicht alles«, fügte Jack gereizt hinzu und ließ die Anschuldigung einen Moment in der Luft hängen. »Jedenfalls bin ich aus einem ganz bestimmten Grund mit Emi allein gegangen. Ich habe den Portolan in der Burg versteckt.«
»In der Burg?«, fragte Yamato. »Warum denn dort?«
»Daimyo Takatomi hat sie gegen Ninja abgesichert. Wo wäre der Portolan also besser vor einem so heimtückischen Ninja wie Drachenauge geschützt?«
Akiko sah ihn an, als habe er soeben ein schlimmes Verbrechen begangen. »Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast, Jack«, sagte sie empört.
»Was hast du denn?«, fragte Jack. »Das ist doch das sicherste Versteck. Warum tust du, als hätte ich einen Mord begangen?«
»Das hast du noch nicht, aber du bringst Daimyo Takatomi in Lebensgefahr!« Akiko schüttelte den Kopf, als könnte sie Jacks Dummheit nicht fassen. »Drachenauge bricht bestimmt in der Burg ein, um das Buch zu holen.«
»Das geht doch gar nicht«, widersprach Jack. »Selbst wenn er es versuchen würde, der Nachtigallenboden würde ihn verraten und die Wachen würden ihn festnehmen, bevor er sich dem Daimyo nähern könnte. Und wie soll der Daimyo gefährdet sein, wenn nur wir drei vom Versteck des Portolans wissen? Drachenauge würde doch nie auf die Idee kommen, in der Burg danach zu suchen, und von uns erfährt er es natürlich auch nicht.«
30
Klebende Hände
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten? Ich bin gar nicht wirklich blind …«
Jack hatte es gewusst. Der b ō -Meister hatte ihnen die ganze Zeit etwas vorgespielt. Das erklärte auch, wie er den Weg in die Berge gefunden, wie er Kazuki ausgetrickst hatte und warum er mit dem Stock so geschickt umgehen konnte. Er spielte den Leuten nur vor, er sei blind.
»… ich kann bloß nicht sehen«, beendete Sensei Kano den Satz mit seiner tiefen, volltönenden Stimme.
»Das verstehe ich nicht«, entgegneten Jack und Yamato gleichzeitig. Der Atem kam in weißen Wolken aus ihren Mündern.
Sie waren mit dem Sensei in die Gärten des Tempels Eikan-Do zurückgekehrt. Das herrliche Rot und Orange des Herbstes war verschwunden und an seine Stelle waren die nackten Skelette der winterlich verschneiten Bäume getreten. Sie saßen zu dritt auf einer steinernen Bank neben einer schmalen hölzernen Fußgängerbrücke. Der breite Bach, der darunter floss, war zugefroren. Ein wenig hangaufwärts plätscherte allerdings immer noch ein kleiner Wasserfall. Das Wasser floss unter der Eisdecke des Baches zu dem ebenfalls zugefrorenen See in der Mitte des Gartens.
Sensei Kano zeigte mit der Spitze seines Stocks auf den Park vor ihnen. »Die Menschen glauben, man könne nur mit den Augen sehen, aber stimmt das wirklich?«
Er las einige Kiesel vom Weg auf und gab seinen beiden Schülern je einen.
»Einen Stein zu sehen, bedeutet zugleich, ihn in der Vorstellung zu spüren. Zum Sehen gehört nicht nur der Anblick, sondern auch, wie sich etwas anfühlt. Doch steht das Sehen mit den Augen so sehr im Vordergrund, dass die Bedeutung des Tastsinns darüber vergessen wird.«
»Aber wie haben Sie überhaupt kämpfen gelernt, wenn Sie nicht sehen können?«, fragte Yamato.
»Behinderung bedeutet nicht Unfähigkeit, etwas zu tun.« Der Sensei warf einen Kiesel in die Luft und schlug mit seinem Stock nach ihm. Der Kiesel landete auf dem See und glitt über das Eis. »Es
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