Samurai 3: Der Weg des Drachen
ein Bild gezeichnet, das sie ihrem Vater vor der Abreise nach Japan geschenkt hatte. Jack fuhr, wie er es immer tat, mit den Fingern die Umrisse der Figuren nach: Da waren sein Vater, seine Schwester in dem Sommerkleid, die ihn selbst, ein Strichmännchen mit einem großen Kopf, an der Hand hielt, und zuletzt seine Mutter mit den Engelsflügeln. Er wischte sich einige Tränen aus den Augen und sprach ein kurzes Gebet für Jess. Nur noch eine alte, kranke Nachbarin versorgte sie. Schon um ihretwillen musste er nach England zurückkehren.
Doch hielten ihn die Umstände hier gefangen. Sein Vormund Masamoto fühlte sich für Jack verantwortlich, bis er sechzehn und damit »volljährig« war. Außerdem war eine Reise in die Hafenstadt Nagasaki, die als einzige von ausländischen Schiffen angelaufen wurde, inzwischen sehr gefährlich. Daimyo Kamakura, der Fürst der Provinz Edo, wiegelte die Bevölkerung gegen Christen und Ausländer auf.
Dazu kam, dass Jack sich den Portolan seines Vaters von Drachenauge zurückholen musste, bevor dieser den Code entzifferte. Dokugan Ryus blinde Mutter hatte freilich nur gelacht, als Jack gesagt hatte, er müsse ihren Sohn finden. Drachenauge sei wie der Wind, hatte sie gekrächzt, er ziehe durch die Lande und nehme nie zweimal am selben Ort Quartier. Seinen derzeitigen Aufenthaltsort wollte sie auch nicht für eine weitere Münze verraten. Yamato glaubte, dass sie ihn gar nicht kannte. Er war überzeugt, dass die Alte die ganze Geschichte nur erfunden hatte und das Geld, das sie ihr gegeben hatten, verschwendet gewesen war.
Yamato trat zu Jack unter den Kirschbaum und beugte sich über ihn. »Schönes Bild«, sagte er. »Dasselbe, das Akiko vom Baum heruntergeholt hat?«
Jack nickte. Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er Yamato nicht bemerkt hatte. Vorsichtig faltete er das Pergament zusammen und steckte es wieder in den Inro. Seit Kazuki, sein größter Rivale an der Schule, ihm das Bild weggenommen hatte und es in den obersten Ästen eines Ahorns gelandet war, hütete er es wie seinen Augapfel. Zum Glück hatte Akiko es für ihn zurückgeholt. Dabei hatte sich herausgestellt, dass sie erstaunlich gut klettern konnte.
»Ich habe nachgedacht und finde, wir sollten für uns weiterüben«, sagte Yamato. »Es könnte ja sein, dass mein Vater uns doch wieder in die Schule aufnimmt.«
Jack hob überrascht den Kopf. Offenbar hatte das Bad nicht nur den Körper seines Freundes, sondern auch seinen Geist gestärkt. So optimistisch hatte Yamato schon lange nicht mehr geklungen. Yamato hatte sehr großen Respekt vor seinem Vater. Masamoto war seit dem Tod seines erstgeborenen Sohnes Tenno nur schwer zufriedenzustellen und Yamato sehnte sich nach seiner Anerkennung.
Vielleicht durften Yamato und Akiko ja wieder an die Schule zurückkehren. Sich selbst machte Jack aber wenig Hoffnung.
»Es wäre wie in alten Zeiten, als wir mit unseren Übungsschwertern gekämpft haben«, sagte Yamato fröhlich. »Erinnerst du dich?« Er zeigte auf den kleinen Platz an der Rückseite des Hauses.
Jack nickte.
»Dort hat Yamato dich immer verprügelt!«, ertönte ein helles Stimmchen.
Jack drehte sich um. Ein kleiner Junge rannte über die Brücke auf sie zu.
»Jiro!«, rief Jack und schloss ihn in die Arme.
In den ersten Monaten nach seiner Ankunft war neben Akiko ihr Bruder Jiro seine einzige Gesellschaft gewesen. Yamato und er waren damals noch keine Freunde gewesen. Jiro hatte Recht. Die Übungsstunden waren für Yamato nur ein Anlass gewesen, Jack zu verprügeln. Doch hatte Jack durch den harten Unterricht die Grundlagen des Schwertkampfs nur umso schneller gelernt und Masamoto hatte ihn daraufhin in die Niten Ichi Ryu aufgenommen, die Schule der beiden Himmel.
»Du bist groß geworden«, stellte Jack fest und musterte den braunäugigen, grinsenden Jungen von oben bis unten.
»So groß, dass ich jetzt auch ein Schwert tragen kann!«, antwortete Jiro stolz.
»Wirklich?« Jack warf Yamato einen Blick zu und zog die Augenbrauen hoch. »Fühlst du dich stark genug, mich herauszufordern?«
»Klar.« Jiro stützte die Fäuste in die Hüften.
»Ein Duell!«, rief Yamato in gespieltem Entsetzen. »Du hast keine Chance, Jack. Ich bin Schiedsrichter. Hol dein Schwert, Jiro!«
Begeistert rannte Jiro los, um seinen bokken, sein hölzernes Übungsschwert, zu holen. Jack fühlte sich an seine eigene Aufregung erinnert, als er die Ausbildung zum Samurai begonnen und die ersten Schritte auf dem
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