Samurai 3: Der Weg des Drachen
bewusstlos zusammengebrochen. Eigentlich hätte sie an dem starken Gift sterben müssen.
Akiko hatte auch noch andere unerklärliche Fähigkeiten. Sie war gewandt wie ein Affe den Ahorn hinaufgeklettert, um Jacks Zeichnung zu holen, und hatte bei den Prüfungen des Kreises der Drei unglaublich lange unter dem Wasserfall ausgehalten. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt, sie danach zu fragen.
»Als du krank warst, hörte ich, wie Sensei Yamada und Sensei Kano sich über dokujutsu unterhielten, die Giftkunst der Ninjas. Sie vermuteten, jemand könnte deine Abwehrkräfte gegen Gifte systematisch gestärkt haben.«
Akiko hob einen kleinen Kieselstein auf, warf ihn über die Kante der Felsen und beobachtete, wie er hinunterfiel und im Wasser verschwand.
»Nein, die Wahrheit ist viel einfacher«, wiegelte sie ab. »Ich habe bei so etwas immer Glück. Als ich mit den ama, den Tauchern, nach Perlen gesucht habe, wurde ich unzählige Male von Quallen gestochen. Einmal hat mich sogar ein Kugelfisch gebissen und die sind tödlich. Ich war ein paar Tage krank, habe aber überlebt. Ich kann einfach ziemlich viel wegstecken.«
Das leuchtete Jack zwar ein, es erklärte allerdings nicht Akikos andere Fähigkeiten. »Abe r …«
Doch Akiko stand auf und öffnete ihren Obi. Jack erstarrte. Keine Japanerin entfernte ihren Gürtel in der Öffentlichkeit. Akiko war freilich keine typische Japanerin. Als Angehörige des Samuraistands hätte sie auch mit den ama nicht verkehren dürfen. Es galt als unter ihrer Würde. Doch sie liebte die Freiheit des Meeres, hatte sie Jack einmal erklärt. Nur dort konnte sie den starren Regeln des japanischen Lebens entrinnen.
»Da wir vom Tauchen sprechen: Ich muss jetzt unbedingt schwimmen«, verkündete sie.
Sie bemerkte Jacks Blick.
»Nicht spicken«, sagte sie lachend und bedeutete Jack, sich umzudrehen. Sie reichte ihm ihren Kimono, wickelte ihr Untergewand fest um sich und sprang ins Wasser.
Jack trat schnell an den Rand der Felsen, sah aber nur noch den Schaum und die Wellen dort, wo Akiko ins Wasser eingetaucht war. Tief unten bewegte sich ein Schatten. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, er hätte schwören mögen, dass es sich um eine Meerjungfrau handelte.
Als Akiko nach einer Weile immer noch nicht aufgetaucht war, begann er sich Sorgen zu machen. Im nächsten Augenblick tauchte ihr Kopf wie der eines Seehundwelpen am anderen Ende der Bucht auf. Sie schwamm zu dem kleinen Sandstrand zwischen den Felsen und winkte Jack, zu ihr zu kommen. Jack band die Pferde los und führte sie hinunter.
Als er am Strand eintraf, war Akiko schon fast wieder trocken. Jack gab ihr den Kimono. Dann kehrte er ihr den Rücken zu und wartete geduldig, bis sie sich angezogen hatte.
»Jetzt kannst du dich umdrehen.«
Jack gehorchte. Akiko streckte ihm die Hand hin. Auf ihr lag eine große ovale, geschlossene Muschel.
»Eine Auster. Ich habe sie unter einem Stein auf dem Grund der Bucht gefunden. Mach sie auf! Vielleicht ist eine Perle drin!«
Jack nahm die mit Buckeln und Graten übersäte Muschel und stemmte sie mit dem Kampfmesser, das er dem Ninja abgenommen hatte, auf. Dabei rutschte die Klinge ab und er schnitt sich wieder in den Finger. Rasch steckte er das Unglück bringende Messer ein, bevor es weiteren Schaden anrichten konnte.
Er öffnete die Auster und Akiko entfuhr ein leiser Schrei. Darin lag eine glänzende Perle, die so schwarz war wie Akikos Augen.
»Das ist sehr selten«, flüsterte sie. »Ich habe noch nie eine so schöne schwarze Perle gesehen.«
Jack hielt sie Akiko hin.
»Nein«, sagte sie und schloss seine Finger um die kostbare Perle. »Die schenke ich dir.«
Jack wollte ihr danken und suchte nach den richtigen Worten.
»Da seid ihr ja!«, rief Taka-san und ritt mit seinem Pferd auf den Strand. »Ihr sollt sofort nach Hause kommen. Masamoto-sama wird in Toba erwartet.«
8
Bushido
»Ein entehrter Samurai muss seppuku begehen!«, brüllte Masamoto und sah Jack finster an.
Er saß auf einem Podest im Empfangszimmer von Hirokos Haus und schleuderte die Worte hervor wie ein feuerspuckender Vulkan. Seine Wut auf den Adoptivsohn schien auch nach zwei Monaten nicht abgekühlt. Die vernarbte linke Hälfte seines Gesichts war tiefrot angelaufen, seine bernsteingelben Augen funkelten.
Jack blickte ängstlich zu seinem Vormund auf. Akiko hatte ihm einmal erklärt, was seppuku war, doch konnte er sich vor Schreck über Masamotos Wutausbruch nicht daran erinnern. Er wusste
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