Samurai 3: Der Weg des Drachen
erlebst.«
Jack sah zu ihr hinunter. Sie hatte Recht. Er wünschte sich so sehr, nach Hause zurückzukehren, dass er die guten Dinge an Japan oft übersa h – die ruhige Ordnung des Lebens als Samurai, den Nervenkitzel des Schwertkampfs, den köstlichen Geschmack des Sushis und die Schönheit der Kirschblüte. Und er spürte, dass er, wenn er je das Land verließ, seine Freunde schmerzlich vermissen würd e – Yamato, Yori, Saburo und natürlich Akiko.
Er erwiderte Akikos Lächeln, setzte sich neben sie und wartete auf die Sonne.
»Da kommt sie«, flüsterte Akiko und holte tief Luft. Am Horizont breiteten sich goldene Strahlen fächerförmig aus.
Dann ging die Sonne zwischen zwei aus dem Wasser ragenden Felsen auf. Schwarz hoben sich die Steinbrocken vom tiefroten Himmel ab. Ihre Spitzen waren durch ein dickes, geflochtenes Seil miteinander verbunden. Auf dem größeren Felsen stand ein kleines Tor.
»Was ist das?«, fragte Jack andächtig.
»Meoto Iwa«, antwortete Akiko. »Die verheirateten Felsen. Schön, nicht? Und das da drüben ist der Fuji.«
Jack blickte nach links. Dort war über dem dunstigen Horizont ein schneebedeckter, kegelförmiger Gipfel zu sehen. Wie groß musste dieser Berg sein, dass man ihn trotz der Entfernung so deutlich sah!
Nachdem die Sonne aufgegangen war und sie meditiert hatten, besuchte Akiko noch den nahe gelegenen Shinto-Schrein. Anfangs hatte Jack die doppelte religiöse Praxis der Japaner nicht verstanden. Sie waren nicht nur Anhänger des Buddhismus, sondern zugleich des Shintoismus und verehrten deshalb die kami , die allen Lebewesen und Gegenständen innewohnenden Gottheiten.
In England war Jack als Christ aufgewachsen, genauer als Anhänger der protestantischen Glaubenslehre. Die Gegnerschaft zwischen Protestanten und Katholiken hatte Europa in zahllose Kriege gestürzt. Aufgrund der Glaubensspaltung waren das katholische Spanien und Portugal mit dem protestantischen England verfeindet. Dass der Kampf um die Vorherrschaft auch auf See und in der Neuen Welt ausgefochten wurde, steigerte die Bedeutung des Portolans ins Unermessliche. Der Besitz eines Logbuchs mit so genauen Navigationshilfen, wie sein Vater sie erstellt hatte, konnte das Mächtegleichgewicht sehr wohl zugunsten eines Landes und seiner Glaubensrichtung beeinflussen. In Japan dagegen existierten zwei Religionen in vollkommener Eintracht nebeneinander.
Dass der Buddhismus andere Religionen achtete, hatte es Jack erleichtert, in der Samuraischule als Buddhist zu leben und zugleich im Herzen Christ zu bleiben. Den Buddhismus zu praktizieren war für ihn überlebensnotwendig. Angesichts der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit in Japan musste er sich so gut wie möglich an das Leben der anderen anpassen und seine Bereitschaft zeigen, japanische Glaubensinhalte zu übernehmen. Er musste beweisen, dass er nicht nur den Verstand und die Kraft, sondern auch die geistige Einstellung eines Samurai besaß.
Er verbeugte sich vor dem Shinto-Schrein und sprach ein Gebet für seine Eltern im Himmel und seine kleine Schwester Jess auf der anderen Seite der Erdkugel. In seine Worte mischte sich das sanfte Plätschern der Wellen.
Zu Fuß kehrten sie auf dem Küstenweg nach Toba zurück. Die Pferde führten sie hinter sich her.
»Danke«, sagte Jack, glücklich über den gemeinsamen friedlichen Morgen mit Akiko.
»Ich dachte mir, du würdest das Meer gern wiedersehen«, antwortete sie lächelnd.
Jack nickte.
Ihm war an diesem Morgen einiges klar geworden. Er würde immer Seemann bleiben. Die Seefahrt lag ihm im Blut. Aber er war jetzt auch Samurai.
Sie stiegen auf eine niedrige Anhöhe, von der man auf eine kleine Bucht mit kristallklarem Wasser hinuntersah. Akiko blieb stehen und griff sich mit der Hand an die Stirn.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jack.
»Ja, mir ist nur ein wenig schwindlig. Das ist bestimmt die Seeluft.«
»Vielleicht bist du doch noch nicht ganz gesund. Setz dich hin.« Jack band die Pferde an einem Baum in der Nähe fest und ließ sich neben Akiko an den Rand der zum Wasser abfallenden Felsen nieder.
»Es ist wirklich ein Wunder, dass du das Gift überhaupt überlebt hast«, sagte er. Er dachte daran, wie Drachenauge den Portolan gestohlen hatte und Akiko fast von dem weiblichen Ninja getötet worden wäre, der eigentlich ihn, Jack, hatte umbringen sollen. Das Mordwerkzeug war eine vergiftete Haarnadel gewesen. Der weibliche Ninja hatte Akiko damit in den Hals gestochen und Akiko war
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