Samurai 3: Der Weg des Drachen
entlang.
»Die Zielscheiben hängen genauso hoch wie der Bereich zwischen Helmspitze und Gesichtsmaske des Gegners. Ein Treffer bedeutet also auf dem Schlachtfeld einen tödlichen Schuss.«
Sie zog einen Pfeil aus dem Köcher an ihrer rechten Hüfte und zeigte den Schülern die stumpfe, aus einer Holzkugel bestehende Spitze.
»Zum Üben verwendet ihr stumpfe Pfeile. Yabusame ist ein den Göttern geweihtes Ritual. Waffen, die blutige Wunden verursachen, sind deshalb nicht zulässig.«
Sensei Yosa steckte den Pfeil wieder ein. Jack beugte sich zu Yori hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Du hast eine Frage, Jack-kun?« Sensei Yosa musterte ihn mit ihren durchdringenden Falkenaugen.
Jack blickte erschrocken auf. Er hatte die Frage nicht vor der ganzen Klasse stellen wollen. Jetzt spürte er die Blicke der anderen Schüler auf sich.
»Ich habe nur überlegt, warum Sie in-yo gerufen haben«, sagte er.
Sensei Yosa nickte. »Eine gute Frage. In-yo ist ein altes Samurai-Gebet und bedeutet ›Dunkelheit und Licht‹. Es hilft dir, dich geistig auf das Ziel zu konzentrieren. Willst du dich als Erster im Yabusame versuchen?«
Jack schüttelte den Kopf. Zwar übte er seit zwei Jahren Bogenschießen und hatte auch schon große Fortschritte gemacht, aber er traute sich nicht zu, vom Rücken eines Pferdes aus zu schießen.
»Bei allem Respekt, Sensei, ich glaube, ich sollte zuerst reiten lernen.«
»Wie du meinst. Wer kann Jack beibringen, wie ein richtiger Samurai reitet?«
Jack lächelte Akiko hoffnungsvoll zu, doch da trat schon der neue Junge Takuan vor.
»Es wäre mir eine Ehre«, sagte er mit einer Verbeugung. »Ich war an der Takeda Ryu in Wakasa der beste Reiter.«
»Danke, Takuan-kun«, antwortete Sensei Yosa. »Nimm die braune Stute, die ist folgsam.«
Takuan führte das Pferd zu den Bäumen hinüber, Jack folgte ihm mit einigem Abstand.
Dass Takuan ihm helfen wollte, überraschte ihn. Sie hatten seit seiner Ankunft kaum miteinander gesprochen. Dabei war Jack Takuan nicht bewusst aus dem Weg gegangen. Der Grund lag mehr darin, dass Takuan ständig von Verehrerinnen umringt war.
»Es ist mir eine Ehre, dir zu helfen«, sagte Takuan mit einer förmlichen Verbeugung. »Ich habe schon viel von dir gehört.«
»Wirklich?«, fragte Jack ein wenig überrascht.
»Ja. Akiko hat mir erzählt, dass du den Wettbewerb gegen die Yagyu Ryu gewonnen hast. Das Jadeschwert Yamato zu überlassen war wirklich sehr nobel.«
Takuan zog den Sattel zurecht und tätschelte das Pferd beruhigend.
»Und Yori hat dich in den Himmel gelobt. Er hat mir erzählt, wie du ihm bei den Prüfungen zum Kreis der Drei das Leben gerettet hast. Du bist wirklich ein toller Samurai für einen Gaiji n …«
Jack zuckte zusammen. Er hatte schon Zutrauen zu Takuan gefasst und in seiner Wachsamkeit nachgelassen. Doch mit einem Wort hatte Takuan plötzlich seine wahren Gefühle verraten.
»Entschuldige bitt e … ich wollte Ausländer sagen«, verbesserte Takuan sich hastig. »Wo ich herkomme, sind Leute wie du nicht besonders beliebt.«
»Leute wie ich?«
»Ja, Christen. In der Stadt, aus der ich komme, wollten Jesuiten die Einwohner bekehren. Sie wollten, dass wir ihnen gehorchen und Jesus Christus dienen und nicht mehr unserem Kaiser. Aber du willst das bestimmt nicht.«
»Warum sollte ich?« Jack verschränkte trotzig die Arme. »Ich bin kein Jesuit und auch kein Portugiese.«
»Aber ich dachte, du seist Christ. Ist das nicht dasselbe?«
»Nein, ich bin ein Protestant aus England. Die Jesuiten sind katholisch und England führt Krieg gegen Portugal. Wir sind erbitterte Feinde. Ich will überhaupt niemanden bekehren.«
»Es tut mir furchtbar leid. Dieses Gespräch verläuft ganz anders, als ich wollte.« Takuan verbeugte sich tief, ohne zu Jack aufzublicken. »Bitte nimm meine Entschuldigung für meine Unkenntnis an.«
»Du konntest das ja nicht wissen«, sagte Jack.
Er verstand die vielen Benimmregeln der japanischen Etikette inzwischen etwas besser. Sich zu entschuldigen galt in Japan als Tugend. Wer sich entschuldigte und aufrichtige Reue zeigte, dem wurde verziehen.
»Danke, Jack«, sagte Takuan und lächelte. Er tätschelte der Stute den Hals. »Willst du jetzt für deine erste Reitstunde aufsteigen?«
Jack trat neben das Pferd, stellte den linken Fuß in den Steigbügel und suchte am Sattel Halt. Bis jetzt hatte ihn immer jemand hinaufgezogen. Sosehr er sich auch bemühte, das Pferd wich jedes Mal aus, wenn er
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