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Samurai 3: Der Weg des Drachen

Samurai 3: Der Weg des Drachen

Titel: Samurai 3: Der Weg des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Bradford
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Flut.
    Woher sollte er sein wahres Gesicht kennen?
    Seine Gedanken wanderten zu seiner Schwester Jess. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie gerade fünf geworden. Mit ihren blonden Locken und den meerblauen Augen war sie ein hübsches Mädchen, mehr sommerliche Butterblume als englische Rose. Wie sie inzwischen wohl aussah? Er war jetzt seit vier Jahren von zu Hause weg. Für die Heimreise nach England brauchte er noch einmal zwei Jahre. Würde er sie dann überhaupt noch erkennen? Sie würde zehn sein oder elf. Ein großes Mädchen. Aber auch er hatte sich vollkommen verändert. Was für eine sonderbare Erscheinung er in London abgeben würd e – ein englischer Junge in den Kleidern eines Samurai!
    »Mokuso yame!«, sagte Sensei Yamada. Das Weihrauchstäbchen war heruntergebrannt. Er legte die Hände in den Schoß und wartete auf Lösungen für sein Koan.
    Die Schüler saßen stumm vor ihm.
    »Hat jemand einen Vorschlag?«, fragte Sensei Yamada. »Kiku-chan?«
    Kiku schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht Emi-chan?«
    Die Tochter des Daimyo verbeugte sich entschuldigend.
    »Und du, Takuan-kun? Es wäre eine gute Gelegenheit für einen ersten Unterrichtsbeitrag.«
    Jack drehte sich nach Takuan um, der zwischen Emi und Akiko saß. Die Mädchen der Klasse sahen ihn erwartungsvoll an. Takuan schien die Aufmerksamkeit ausnahmsweise etwas peinlich zu sein.
    Nach einer langen Pause sagte er schließlich:
    »Eine leere Tasse wartet:
randvoll mit Gedanken
ist sie zu voll zum Trinken.«
    Die Schüler klatschten anerkennend Beifall, obwohl viele die Bedeutung seines Haikus nicht verstanden.
    Sensei Yamada gluckste. »Das ist eine sehr originelle Art zu sagen, dass du keine Lösung weißt. Aber ich suchte nach einer richtigen Antwort.«
    Die Mädchen seufzten enttäuscht. Jack zuckte mitfühlend die Schultern. Seit dem Gespräch mit Yori fühlte er sich von Takuan nicht mehr bedroht. Zwar ärgerte er sich noch jedes Mal, wenn Takuan nach Akiko fragte, aber Takuan hatte ihm wirklich geholfen, reiten zu lernen. Im vergangenen Monat hatte er den leichten Galopp gelernt und Takuan hatte versprochen, dass sie bald zum Galopp übergehen würden. Seine Lehrerin in der Kunst des Bogenschießens hatte Jack damit freilich nicht beeindrucken können. Sie bestand zu seinem Ärger und Verdruss weiter darauf, dass er mit dem Holzpferd übte.
    »Weiß niemand eine Lösung?« Sensei Yamada blickte sich hoffnungsvoll um.
    Niemand meldete sich. Sensei Yamada sah Yori an.
    »Was meinst du, Yori-kun?«
    »Ist das wirklich wichtig?«, erwiderte Yori mürrisch.
    Sensei Yamada kniff entgeistert die Augen zusammen, bis sie fast in seinem Kopf verschwanden. Er hatte nicht mit einer so unhöflichen Antwort seines vielversprechendsten Schülers gerechnet. Auch die anderen Schüler starrten Yori erschrocken an.
    »Wir werden bald in einem Krieg kämpfen! Warum soll man da noch ein Koan lösen oder ein Haiku verfassen?« Erregt zupfte Yori an den Ärmeln seines Kimonos. »Sollten wir nicht lieber kämpfen lernen?«
    Sensei Yamada holte langsam und tief Luft und stützte das Kinn auf die Finger. Die Schüler warteten gespannt auf seine Antwort.
    »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst, Yori«, sagte er schließlich und durchbohrte ihn mit seinem Blick. »Aber es überrascht mich, dass ausgerechnet du von allen meinen Schülern den Sinn meines Unterrichts infrage stellst.«
    Yori schluckte schuldbewusst. Er sah aus, als wollte er gleich in Tränen ausbrechen.
    »Ich will dir erklären, warum diese Stunden so wichtig sind.« Der Zen-Meister klang beherrscht, aber zugleich streng und strafend. »Die Niten Ichi Ryu bildet keine primitiven Schläger aus. Du folgst dem Weg des Kriegers und dazu gehört die Beherrschung aller Künste. Du bist kein Söldner und kein einfältiger ashigaru, sondern ein Samurai. Benimm dich gefälligst auch wie einer!«
    Yori verbeugte sich beschämt. Sein kleiner Aufstand war vorüber.
    Sensei Yamada wandte sich nun an die anderen Schüler. »Dasselbe gilt für euch alle. Ein Land, das zu sehr zwischen Gelehrten und Soldaten unterscheidet, hat Feiglinge als Denker und Narren als Soldaten!« [6]
    Der Zen-Meister erhob sich und trat zu einer großen Klangschale aus gehämmerter Bronze, die auf einem rot lackierten Gestell auf einem Kissen ruhte. Wenn man die Schale anschlug, klang sie volltönend und rein wie ein himmlischer Gong. Jack hatte sie anlässlich der Feiern zum Neujahrstag gehört.
    »Offenbar braucht ihr eine

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