Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
ihr Gesicht vor Freude über seine lang ersehnte Rückkehr strahlte. Anschließend versuchte er sich vorzustellen, wie ihr Aussehen sich in den Jahren seiner Abwesenheit verändert haben mochte.
Das half ihm über das anfängliche Brennen hinweg und brachte eine gewisse Erleichterung. Einige Schüler hatten bereits aufgegeben, doch Jack machte weiter. Er wollte beweisen, dass er mit den Besten mithalten konnte.
Die zweite Minute verging. Jack war ein wenig schwindlig und er fühlte sich wie losgelöst von seinem Körper. Das Bedürfnis zu atmen wuchs und wuchs. Weitere Schüler gaben auf und schnappten gierig nach Sauerstoff.
Miyuki hatte bisher durchgehalten. Sie saß ruhig und konzentriert da und hatte den Blick unverwandt auf Jack gerichtet. Er erwiderte ihn. Und schon war zwischen ihnen ein Kampf um den stärkeren Willen entbrannt.
Jack wollte Miyuki unbedingt schlagen. Den Atem anzuhalten schien ihr auf den ersten Blick überhaupt nichts auszumachen. Doch an ihrem Hals pochte eine Ader. Ein Muskel zuckte vor Anstrengung. Auch sie kämpfte.
Jack schöpfte Hoffnung. Die dritte Minute brach an. Er hatte die Luft noch nie so lange angehalten, aber er hatte begriffen, wie sein Körper das scheinbar Unmögliche erreichen konnte. Bei den Prüfungen zum Kreis der Drei im Vorjahr hatte er gelernt, dass nur der Geist einem Menschen Grenzen setzte. Akiko hatte es bewiesen. Sie hatte länger als die Brenndauer dreier Räucherstäbchen unter einem eiskalten Wasserfall ausgeharrt und trotzdem keinen Kälteschock bekommen.
Der Körper macht weiter, solange der Geist stark ist, hatte der Tendai-Priester gesagt.
Jack konzentrierte sich auf seine Erinnerungen an Akiko. Er sah ihr lächelndes Gesicht vor sich, dachte an die Stunden, die sie gemeinsam unter dem Kirschbaum verbracht hatten, und schöpfte Kraft aus dieser Freundschaft. Auf ewig miteinander verbunden.
Inzwischen waren nur noch drei Schüler übri g – Tenzen, Jack und Miyuki.
»Seht doch, er ist im Gesicht so rot wie ein Daruma!«, rief Shiro.
Jack hörte ihn kaum. Die Stimmen der anderen drangen nur noch wie von weit her an sein Ohr. Ihm wurde langsam schwarz vor Augen, aber so kurz vor dem Sieg konnte er unmöglich aufgeben. Er fühlte sich in seiner Samurai-Ehre herausgefordert.
Tenzen gab auf und holte einige Male erleichtert Luft. Jetzt waren nur noch zwei übrig, die stumm gegeneinander kämpften: Miyuki und Jack.
Hanzo konnte nicht mehr an sich halten. »Du schaffst es, Tengu!«, feuerte er Jack an.
Die anderen Schüler flüsterten im Sprechchor: »Miyuki! Miyuki! Miyuki!«
Miyuki zitterte inzwischen am ganzen Leib.
Ich werde sie besiegen, dachte Jack. Ich werde sie besiegen.
19
Eine ständige Bedrohung
»Ich fasse es immer noch nicht, du bist in Ohnmacht gefallen!«, rief Hanzo und konnte sich vor Lachen kaum halten. »Ich dachte schon, du seist tot!«
»Konzentriere dich gefälligst auf die Übung!«, schimpfte Jack und hielt den Bambusstock hoch, der als Ziel dienen sollte.
Hanzo war ein lieber Junge, aber manchmal brachte er Jack zur Weißglut. Jack hatte ihn vor dem Abendessen noch im Garten vor dem Haus im Schwertkampf unterrichten wollen, aber Hanzo war immer noch mit Jacks dramatischer Niederlage beim Luftanhalten beschäftigt.
Jetzt senkte er sein Übungsschwert und runzelte besorgt die Stirn. »Aber Tengus sind doch unsterblich, oder nicht?« Jack nickte, obwohl er dachte: dieser Tengu nicht!
Weil er Miyuki unbedingt hatte schlagen wollen, hatte er die Luft angehalten, bis er vor Sauerstoffmangel umgekippt war. Zum Glück hatte sein Körper instinktiv angefangen zu atmen. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er in das besorgte Gesicht des Großmeisters geblickt. »Ein bemerkenswerter erster Versuch«, hatte Soke gesagt. »Aber ein bewusstloser Ninja ist so gut wie tot. Daraus könnt ihr alle etwas lernen: Erkennt eure Grenzen.«
Jack hatte zwar gegen Miyuki verloren, aber mit seiner enormen Willenskraft die Achtung der anderen Ninja gewonnen.
Den Rest der Stunde hatten sie sich mit den Techniken des flachen Atmens beschäftigt. Sie hatten gelernt, wie man Atemgeräusche unterdrückte, wie man einen Schlafenden von jemandem unterschied, der nur so tat, und schließlich, wie man sich tot stellte.
»Diese Technik sollte man nur als letzten Ausweg anwenden, da man dem Feind dadurch wehrlos ausgeliefert ist«, hatte Soke erklärt. »Aber indem man so tut, als sei man tot oder tödlich verwundet, kann man ihn zur Achtlosigkeit
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