Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
doch der scharfe Dunggeruch hielt sich hartnäckig in seinen Haaren. Wahrscheinlich würde es Tage dauern, bis er verschwunden war. Die Demütigung aber würde er noch viel länger spüren. Miyuki hatte ihn bereits den »stinkenden Samurai« getauft. Nicht dass ihm das viel ausgemacht hätte. An der Niten Ichi Ryu hatte er weitaus Schlimmeres erdulden müssen. Besonders sein Rivale Kazuki mit seiner Skorpionbande hatte sich ein Vergnügen daraus gemacht, ihn, den Ausländer, zu schikanieren. Doch an der Samuraischule hatte Jack Freunde gehabt. Hier, unter den Ninja, war er allein.
Auf dem Rückweg zu Sokes Haus drang plötzlich eine gefühlvolle, schwermütige Melodie an sein Ohr. Sofort war seine Neugier geweckt und er folgte den klagenden Tönen über das Grasland und zu den Bäumen am Fuß der Berge, die das Tal säumten. Schließlich gelangte er zu einem steilen Hang, an dem ein schmaler Pfad hinaufführte.
Jack folgte ihm bis über die Bäume und kam zu einer Höhle, die sich oberhalb des Tals zum Dorf hin öffnete. In der Höhle saß Soke im Schneidersitz vor einem Shinto-Schrein und spielte auf einer langen Bambusflöte. Die sehnsuchtsvolle Melodie hob und senkte sich mit seinem Atem und die Wände der Höhle warfen das Echo zurück und erzeugten endlose Klangkaskaden. Die Augen des Alten waren geschlossen. Er schien zu meditieren.
Jack setzte sich an den Eingang der Höhle und wartete geduldig, bis Soke zu Ende gespielt hatte. Nachdenklich betrachtete er den Alten, dessen runzliges Gesicht so gar nicht zu seinem Amt als Großmeister der gefährlichen Ninja passen wollte. Wieder einmal fragte Jack sich, warum ausgerechnet Soke ihm unbedingt helfen wollte.
Der Großmeister senkte die Flöte. »Dieser alte Schrein wurde zu Ehren unseres Berggottes Yama-no-kami errichtet«, erklärte er, als habe er Jack erwartet. »Ich spiele, um ihn friedlich zu stimmen.«
»Dann muss Euer Gott ein sehr glücklicher Gott sein«, sagte Jack. »Euer Spiel klang, als singe ein Engel.«
»Danke für das Kompliment, aber es gibt viel bessere Flötenspieler als mich«, antwortete Soke mit einer bescheidenen Verbeugung. Er hob die Flöte. »Das ist eine shakuhachi . Die komuso, die Mönche der Leere, verwenden sie als geistliches Werkzeug auf dem Weg zur Erleuchtung. Hast du schon einmal meditiert?«
Jack nickte. »Sensei Yamada hat uns in der Sitzmeditation unterrichtet.«
»Das hier ist die Kunst des Blas-Zen. Statt im Sitzen über ein Koan nachzudenken, konzentriert man sich darauf, ein Lied zu spielen.«
Soke griff hinter sich und holte eine zweite Flöte. »Du wirkst, als könnte dir ein wenig Blas-Zen guttun.«
Er gab Jack die Flöte und wies ihn an, sie senkrecht zu halten wie eine Blockflöte. Dann zeigte er ihm, wie man die Finger auf die fünf Löcher legte.
»Man bläst über den oberen Rand der Flöte«, sagte er und drückte die Lippen im rechten Winkel an das eine Ende der Flöte. Ein klarer Ton erklang. »Durch Veränderung des Winkels kannst du die Klangfarbe bestimmen.«
Jack befeuchtete seine Lippen, setzte die Flöte an und atmete aus. Das Instrument kreischte wie ein Vogel, der erwürgt wird.
Soke unterdrückte ein Grinsen. »Du darfst nicht so fest pusten. Blase ganz zart, so als wolltest du eine Feder bewegen.«
Jack holte Luft und versuchte es aufs Neue. Diesmal war ein zwar noch wackliger, aber klangvoller Ton zu hören.
»Gut. Ich bringe dir jetzt ein einfaches Stück bei, das Lied Hifumi hachi gaeshi , das bei den Mönchen der Leere besonders beliebt ist. Sie spielen es, wenn sie um Almosen bitten.«
Soke setzte sich auf den Höhlenboden. Nachdem er eine bequeme Stellung gefunden hatte, begann er eine einfache, flehende Melodie zu spielen. Er spielte zuerst das ganze Lied, wiederholte dann den Anfang ein paarmal und zeigte Jack, wie man die Töne mit den Fingern griff.
»Jetzt versuch du es.«
Jack spielte, brach aber gleich wieder ab, weil ihm die Luft ausging.
»Atme wie bei der Meditation mit dem Bauch, nicht mit der Brust«, riet Soke. »Die Melodie muss so mühelos wie die Luft von deinen Lippen strömen.«
Jack verbrachte den restlichen Vormittag damit, den Anfang des Lieds zu üben. Je öfter er es spielte, desto ausdauernder und natürlicher wurde sein Atem. Jack fing an, mit der Melodie zu schweben. Zuletzt erfüllte ihn die Ruhe und Stille eines Sommertages.
»Du hast große Fortschritte gemacht«, lobte Soke. »In den nächsten Tagen bringe ich dir das ganze Stück
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