Samurai 5: Der Ring des Wassers (German Edition)
gewinnen.«
»Wie denn?«, fragte Jack verzweifelt. »Er kreist alle meine Gruppen ein.«
»Du musst die Muster erkennen, nach denen er vorgeht! Versuche seine Züge vorauszuahnen. Behalte das ganze Brett im Blick …«
»Es geht weiter!«, rief Kanesuke, der ihr Gespräch bemerkt hatte.
Jack kehrte an seinen Platz zurück und starrte düster auf das Brett. Er sah keine »Muster«, sondern nur lauter einzelne Konflikte. Die Verteilung von Schwarz und Weiß insgesamt ergab keinen Sinn und er konnte keine schlüssige Strategie daraus ableiten.
»Wenn er weiter so lange braucht, spielen wir noch im Licht der Sterne«, bemerkte Kanesuke spöttisch.
Sternbilder!
Das war der rettende Einfall! Jacks Vater, ein Schiffssteuermann, hatte ihm beigebracht, wie man nach den Sternen navigierte. Zuerst hatte er sich am Himmel vor lauter Sternbildern überhaupt nicht zurechtgefunden. Doch sein Vater hatte ihm gezeigt, wie man das Kleine im Großen und das Große im Kleinen erkennen konnte. Nach und nach hatte Jack die wichtigen Sternformationen unterscheiden gelernt und plötzlich konnte er den Himmel lesen und auf sicherem Kurs durch den endlosen Ozean steuern.
Wenn die weißen Steine nun Sterne waren und die schwarzen der Nachthimmel, konnte er die Schlacht in Gedanken ordnen. Sofort bildete sich ein Muster heraus und eine Strategie entstand in seinem Kopf. Zugleich erwachte auch die Hoffnung, er könnte auf diesem Weg doch noch zum Sieg gelangen.
Der Daimyo plante offenbar, die drei weißen Steine zu opfern, dafür aber das von Schwarz beanspruchte Gebiet am unteren Rand des Bretts zu zerstören. Sogleich machte Jack dort einen Zug. Zwei Gruppen entstanden – eine weiße und eine schwarze – und ein Wettrennen um die Gefangennahme der jeweils gegnerischen Steine begann.
Jack war zuerst am Ziel, machte vier Gefangene und sicherte sich das Gebiet.
Der Daimyo schnaubte, nahm erregt einen weißen Stein und griff seinerseits in der Mitte links an.
Doch Jack hatte inzwischen das ganze Spiel im Blick und sein Gefühl riet ihm, den Zug zu ignorieren. Stattdessen setzte er mit einem lauten Klacken einen Stein in die Mitte des Bretts.
»Nein!«, rief Ronin angesichts dieses waghalsigen Manövers, aber zu spät. Der Stein war gesetzt.
Daimyo Sanada grinste. Der Gaijin hatte einen entscheidenden Fehler gemacht!
Doch Jack spürte instinktiv, dass er die richtige Strategie verfolgte. Er setzte weiter Steine an scheinbar ungewöhnliche Stellen und das schadenfrohe Grinsen des Daimyo wich einer besorgten Miene. Der Kampf wurde immer heftiger und der Daimyo fuhr mit den Fingern laut durch die Schale mit seinen Steinen. Jack entnahm Ronins Gesicht, dass sich das nicht gehörte. Offenbar hatte er den Daimyo aus dem Konzept gebracht.
Daimyo Sanada runzelte die Stirn und brauchte für seine Züge immer länger. Doch dann gelang ihm eine Gruppe mit zwei »Augen« und seine Stimmung besserte sich. Als er diese lebende Gruppe dann noch mit den drei weißen Steinen verbinden konnte, begann er wieder zu grinsen.
Ronin schüttelte verzweifelt den Kopf und wandte den Blick ab. Jetzt würden sie verlieren. Sein Blick wanderte zu den sechs Wächtern neben ihnen. Einen, vielleicht auch zwei konnte er überwältigen. Doch ein Fluchtversuch ohne seine Schwerter kam einem Selbstmord gleich.
»Dieser Zug ist nicht erlaubt!«, sagte Kanesuke kurz angebunden.
Ronins Blick kehrte zu dem Brett zurück und er sah, dass Jack einen schwarzen Stein in eins der weißen »Augen« gesetzt hatte.
»Ohne Freiheiten begehst du damit ›Selbstmord‹«, erklärte Daimyo Sanada voller Schadenfreude.
»Aber nehme ich damit nicht diesen Stein gefangen?«, fragte Jack unschuldig und zeigte auf den danebenliegenden weißen Stein, der zum Rand des Bretts hin eingeschlossen war.
Ronin sah genauer hin und hielt die Luft an. »Ein ›falsches Auge‹!«
Zwar war Jacks Stein umkreist, doch hatte er zugleich einen weißen Stein gefangen genommen. Der Daimyo, der sich durch Jacks unorthodoxe Strategie hatte verwirren lassen, schnaubte über seinen eigenen Fehler. Seine Gruppe war auf allen Seiten von Schwarz eingeschlossen und unrettbar verloren. Jack besetzte bei seinem nächsten Zug das andere »Auge« und nahm die falsche lebende Gruppe einschließlich der entscheidenden drei weißen Steine gefangen. Es war, als wären in einem Sternbild alle Sterne zur gleichen Zeit erloschen.
Die letzte Phase der Partie begann. Jetzt ging es um alles oder nichts.
Erbittert
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