Samurai 7: Der Ring des Windes (German Edition)
Strähnen abgeschnitten.
»Die Haare eines goldenen Kindes sind Bezahlung genug.« Sie rieb die Haare zwischen ihren dürren Fingern und schnüffelte genießerisch dran.
Danach steckte sie die Haare in den Ärmel ihres zerlumpten Gewands, behielt aber eine Strähne zurück und legte sie auf den Tisch. Sie zerbrach einige Zweige, legte sie in die Schale und zündete sie mit der Glut des Feuers an. Anschließend zerrieb sie verschiedene Kräuter und streute sie in die Flammen. Dicker Rauch stieg auf. Mit dem Dolch schabte sie einige Knochenstückchen in die Schale und spuckte hinein. Ihre Spucke zischte im Feuer.
»Deine Hand«, befahl sie, ohne aufzublicken.
Zögernd streckte Jack den Arm aus. Die Windhexe ergriff ihn und pikste mit der Spitze des Dolchs in seinen Daumen. Jack machte eine Grimasse, während sie drei Tropfen Blut herausdrückte. Als Nächstes nahm sie einen Käfig, öffnete ihn und schüttelte eine große schwarze Spinne heraus. Bevor die Spinne wegkrabbeln konnte, warf sie sie in die Flammen, wo sie sich krümmte und wand und verbrannte. Der Gestank von verkohltem Fleisch stieg auf und Jack hielt sich Mund und Nase zu. Abschließend gab die Hexe noch einige seiner Haare ins Feuer. Die Flammen verfärbten sich hellgrün.
Die Hexe beugte sich über das brennende Gemisch, atmete die Dämpfe tief ein und lehnte sich zurück. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme tief und heiser. Sie schien nicht aus ihrem Körper zu kommen.
»Um frei zu werden, muss man vom Tod aufwachen und ins Leben zurückkehren … « Sie sprach wie in Trance. Ein Schauder durchlief sie. »Der Schmerz wird deinen Mut stärken, wenn der Drache zurückkehrt …« Von ihrem unter der Kapuze verborgenen Gesicht stiegen Rauchkringel auf. »Das Ende deiner Reise hat gerade erst begonnen. Das größte Opfer kommt noch …«
Plötzlich kreischte die Alte auf, stieß die Schale auf den Boden und löschte die Flammen.
»Was ist?«, fragte Jack alarmiert.
Die Windhexe schüttelte den Kopf, als sei sie zu Tode erschrocken. »Einige Dinge sind nicht dazu bestimmt, gesehen zu werden.«
Sie entließ ihn mit einer Handbewegung. »Geh, los!«
»Was habt Ihr gesehen?«, beharrte Jack.
Doch die Hexe sank bewusstlos auf ihre Lumpen.
Jack sprang auf. Sein Herz hämmerte. Was hatte sie ihm sagen wollen? Und was konnte so schrecklich sein, dass es einer Hexe Angst machte?
Hastig trat er aus dem Verschlag und kniff die Augen gegen die helle Sonne zusammen. Die Begegnung mit der Alten hatte ihn aufgewühlt, aber bei nüchternem Tageslicht besehen kam sie ihm schon jetzt nur noch wie ein schlechter Traum vor. Er versuchte sich einzureden, die Alte habe ihm nur einen Streich gespielt, vielleicht weil er kein Geld zum Bezahlen gehabt hatte. Doch hatte ihr Entsetzen beklemmend echt gewirkt.
Jack drehte sich nach Li Ling um, konnte sie aber nirgends entdecken. Doch plötzlich tauchte Schädelgesicht vor ihm auf.
»Li Ling wurde von Captain Kurogumo gerufen«, erklärte er. »Ab jetzt begleite ich dich.«
Etwas an seinem Ton weckte Jacks Misstrauen und er wich vorsichtig einen Schritt zurück.
»Wo willst du hin, Gaijin?«, fragte Schädelgesicht und grinste ein wenig zu breit.
»Zur Zitadelle.«
»Dann folge mir.« Unschuldig zeigte der Pirat auf eine morsche Leiter.
»Aber das ist nicht der richtige Weg.« Jack drehte sich um und wollte wegrennen.
Tiger und Schlange standen vor ihm und versperrten den Weg. Ohne Vorwarnung sprang Manzo aus einer nahen Tür und zerrte ihn nach drinnen. Gegen den Griff seiner Pranken konnte Jack nichts ausrichten. Wenige Augenblicke später hatten die Piraten ihm Hände und Füße auf den Rücken gebunden, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und den Sack mit Schnüren umwickelt. Jack wehrte sich verzweifelt und schrie um Hilfe.
»Bring ihn zum Schweigen!«, zischte Schädelgesicht.
Als Letztes spürte Jack einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf.
46
Entführt
Der Boden unter ihm hob und senkte sich. Im ersten Augenblick glaubte Jack, der immer noch im Sack verschnürt war, ihm sei noch von dem Schlag auf den Kopf schwindlig. Doch dann hörte er das Knarren von Holz, das Glucksen von Wellen und das Knattern eines Segels. Er befand sich auf See.
Abgesehen von einem dumpfen Pochen im Schädel schien er unverletzt zu sein. Er wollte sich bewegen, aber die Schnüre ließen es nicht zu. Seine Kehle war vom Staub im Sack wie ausgetrocknet. Er überlegte, ob er laut schreien sollte, doch war es
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