Samurai 7: Der Ring des Windes (German Edition)
auf sich. Trotz der Entfernung hatte er das Gefühl, dass Drachenauge ihn wie mit kalten Fühlern abtastete. Eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Fassungslosigkeit drohte ihn zu überwältigen und er bekam für einen Augenblick keine Luft mehr. Die wundersame Auferstehung des Ninja stellte ihn immer noch vor ein Rätsel. War Drachenauge denn unsterblich? Jack schauderte bei dieser Vorstellung. Ein normaler Mensch konnte den Sturz vom höchsten Turm der Burg von Osaka, vom achten Stock auf den gepflasterten Innenhof, unmöglich überleben. Und er hatte Drachenauge mit eigenen Augen sterben sehen … das heißt … wenn er an jene von Kampflärm erfüllte Nacht zurückdachte, hatte er ihn genau genommen nur fallen sehen.
Er hatte nicht gesehen, wie er unten aufgeschlagen war … hatte keinen Beweis seines Todes.
War Drachenauge auf einem Dach gelandet? Oder hatte er seinen Sturz mit einer Fangleine irgendwie bremsen können? Hatten die Zweige eines Kirschbaums ihn aufgefangen? Wie auch immer, fest stand jedenfalls, dass sein Erzfeind zurückgekehrt und alles andere als tot war.
Wieder spürte er den kalten, mitleidlosen Blick des Ninja. Ein namenloser Kummer stieg in ihm auf, den er schon für geheilt oder wenigstens gelindert gehalten hatte. Trauer um seinen toten Vater erfüllte ihn, als sei er eben erst gestorben. Vor seinem geistigen Auge sah er wieder, wie Drachenauge dem Vater das Schwert in die Brust stieß, und er begann zu schluchzen. Sein langer Kampf darum, den Ninja zu besiegen, war umsonst gewesen. Der Gerechtigkeit war nie Genüge getan worden. Sein Vater war tot, er selbst und seine Schwester waren Waisen, doch der Mörder lebte noch. Yamato, sein Freund und Waffenbruder, hatte sich geopfert, um Jack und Akiko zu retten. Jetzt sah es so aus, als sei sein Opfer umsonst gewesen.
Auf einmal kam ihm ein verblüffender Gedanke. Wenn Drachenauge überlebt hatte, dann vielleicht auch Yamato!
Eine unglaubliche Welle der Hoffnung durchströmte ihn. Vielleicht saß Yamato in diesem Moment mit seinem Vater Masamoto zusammen oder reiste auf der Suche nach Jack durch Japan. Jack versuchte sich zu beruhigen und seine Hoffnung zu dämpfen. Er wusste, dass alles gegen diese Möglichkeit sprach – andernfalls hätten Akiko, Yori oder Saburo bestimmt längst davon erfahren. Aber trotzdem war es nicht ausgeschlossen und er war nicht bereit, die neue Hoffnung gleich wieder fahren zu lassen. Mit ihr erwachte auch sein Überlebenswille.
Er hatte keine Ahnung, wie er fliehen sollte – an einen Mast gefesselt, von Samurai bewacht und von Drachenauge beobachtet. Seine Situation war hoffnungslos. Diesmal durfte er nicht damit rechnen, dass seine Freunde ihn retten würden. Sie rechneten umgekehrt damit, dass er sie befreite. Und doch war er wild entschlossen, ihnen zu helfen.
Langsam dämmerte ihm noch etwas. Er war vor Drachenauges Rückkehr gewarnt worden – nicht nur einmal, sondern gleich zweimal.
Das erste Mal hatte der Geist des Taira Maramori, des großen Piraten-Bezwingers – oder wer immer der Mann war –, ihm eine Lektion im Ring des Windes erteilt, und zwar die, »wenn ein alter Gegner aufersteht«. Jack erinnerte sich an die unnachgiebige Eiche auf der Klippe, die den Kampf gegen den Wind verloren hatte, während die nachgiebige Feder überlebte.
Und die Windhexe hatte ihm prophezeit: »Der Schmerz wird deinen Mut stärken, wenn der Drache zurückkehrt …«
Der Sinn der Worte war ihm jetzt klar. Beide hatten ihn auf die Begegnung mit Drachenauge vorbereiten wollen.
Jack beschloss, ihrem Rat zu folgen. Er würde gehen, wohin der Wind ihn blies, und die Erinnerung an seinen Vater sollte wie ein Feuer in ihm brennen.
49
Der fliegende Fächer
Die öde Insel war immer noch in Sicht, da entstand auf dem Deck des Samuraischiffs Unruhe.
»Was geht hier vor?«, wollte Drachenauge wissen.
»Einer meiner Leute im Ausguck hat etwas gesehen«, antwortete der Kapitän und spähte nach achtern in die Nacht.
»Was genau?«, fragte Drachenauge ungeduldig.
»Ich weiß es nicht. Es sieht aus wie …« Der grelle Schein eines Feuers erleuchtete schlagartig den nächtlichen Himmel. »… EIN SEEDRACHE !«, brüllte der Kapitän und stürzte zum Deck hinunter.
Ein Feuerball raste auf das Schiff zu. Drachenauge konnte gerade noch in Deckung gehen, da explodierte das Schanzkleid am Heck und brennende Holzsplitter flogen durch die Luft. Ein Samurai an der Reling wurde getroffen. Schreiend und mit den
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