Samuraisommer
„Sei-i tai shogun“, sagte ich. „Was ist
das?“, fragte Ann. „Das ist Japanisch.“
„Und was bedeutet es?“
„Großer General, der gegen die Barbaren kämpft.“
„Bist du etwa der große General?“ Ann schaute auf
mein Schwert, als hielte sie mich nicht gerade für einen würdigen General.
„Komm, wir gehen“, sagte Kerstin. Sie hatte verstanden. „Wir pfeifen
drauf, Ann.“
„Wieso“, sagte Ann, „ich bin nur neugierig. Wer sind die Barbaren,
Kenny?“
Ich antwortete nicht.
„Sind das die, die einem Eier und Schinken ans Bett bringen?“
„Hör auf!“, sagte Kerstin laut.
Einige Kinder auf dem Hof schauten zu uns her.
Ann drehte sich plötzlich um und ging weg.
„Entschuldige“, sagte Kerstin. „Du hast doch gar
nichts gesagt.“
„Ich hab sie aber mitgebracht.“
„Schon.“
„Jetzt wird man das Schloss wohl nie zu sehen
kriegen.“
„Ich hab's selbst noch nicht gesehen, hab ich doch
schon gesagt.“ Ich versuchte zu lächeln. „Es ist noch nicht fertig.“
„Wozu braucht ihr es? Wenn es fertig ist?“
„Zum Drinwohnen natürlich.“
„Und das da?“ Sie machte eine Handbewegung über das Camp, den
Spielplatz, den Hof darum herum, hin zum Ufer, den Bäumen am Waldrand, dem Tor
in die Freiheit, den Kindern, den Aufpassern, der Alten. Zu allem.
„Das brauchen wir dann nicht mehr“, antwortete ich. „Das wird es nicht
mehr geben.“
„Wie meinst du das?“
„Ich hab so ein Gefühl“, sagte ich.
Der Wald schien wie immer riesig zu sein. Er ging ewig so weiter, um
die ganze Erde herum. Dieser Wald hing mit anderen Wäldern im ganzen Land
zusammen, und sie setzten sich fort über alle Grenzen in andere Länder hinein.
Dieser Wald war derselbe Wald bis hinauf nach Norrland und weiter nach
Finnland und Russland, Sibirien und weiter in die Mongolei und nach China. Bis
zum Meer und auf die andere Seite des Meeres, zur japanischen Insel Kyushu. Das
ist die größte Insel im Süden Japans. Dort gab es Wald. Ich hatte Bilder
gesehen. In den Wald wollte ich, und zwar bevor ich erwachsen wurde. „Woher
weißt du so viel über Japan?“, fragte Kerstin.
Sie ging neben mir her. Wir waren weit vom Schloss entfernt, am
anderen Ende des Waldes. Ich wusste immer noch nicht, wie ich ihr das Schloss
zeigen sollte. Aber ich war der Anführer. Ich war kein Shogun, aber ich war ein
Daimyo, ich hatte den höchsten Rang und konnte machen, was mir gefiel. Das, was
ich für das Beste für uns alle hielt. Wem das in der Truppe nicht passte,
konnte gehen.
„Ich kann lesen“, antwortete ich auf ihre Frage, „und mir Bilder
anschauen.“
„Hast du viele Bücher über Japan?“, fragte sie.
„Ich hab überhaupt keine Bücher. Aber es gibt ja eine Bibliothek.“
„Warum gerade Japan?“
„Es geht nicht um Japan, mehr um die Samurai.“
„Aber die haben doch in Japan gelebt?“
„Klar.“
„Gibt es noch welche?“
„Klar.“
„Man hört nie was von ihnen“, sagte sie. „So wollen
es die Samurai“, sagte ich. „Wie?“
„Plötzlich sind sie einfach da.“
„Aber wie konntest du Samurai werden?“, fragte sie.
„Du bist doch kein Japaner.“
„Ich versuche es zu lernen“, sagte ich. „Japaner zu
werden?“ Kerstin lächelte. „Auch das“, sagte ich.
Sie zog ein Lid mit einem Finger hoch und das andere zur Seite.
„Papa Chinese, Mama Japanerin, armes kleines Ding.“
Ich musste lachen.
„Warum fährst du denn nicht nach Japan?“, fragte sie.
„Gute Frage“, sagte ich.
„Ich hab bloß Spaß gemacht.“
„Das ist kein Spaß. Ich werde schon noch dorthin kommen.“
Sie sah fast aus, als würde sie mir glauben.
„Aber was ist so aufregend an den Samurai?“, fuhr sie fort.
„Es ist besser als das hier“, antwortete ich.
„Das hier? Was meinst du damit?“
„Alles hier“, sagte ich. „Nicht nur das Camp.“ Ich machte eine
Handbewegung, als gehöre der Wald auch zu dem, was ich meinte. „Dieses ...
Leben oder wie man es nennen soll.“
„Das Leben? Dein Leben?“
„Ja ...“
„Du meinst also, du willst vor dem fliehen, was du hast?“ Ich
antwortete nicht.
„Das ist doch nur ein Traum“, sagte sie. „Aber träumen allein hilft
wohl nicht, um Samurai zu werden?“
„Das ist nicht nur ein Traum“, sagte ich. „Du wirst schon sehen, dass
das nicht nur ein Traum ist.“
Samurai wurde man durch Geburt und nicht durch Ernennung. Die Eltern
mussten Samurai sein, sonst konnte man kein richtiger Samurai werden. Hin
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