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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Stille ringsum.
    Es war kühl, und als sie von der Veranda auf den Hof trat, wäre sie am liebsten zurückgegangen, um eine Decke zu holen, wagte es aber nicht. Sie hatte das Kleid, das sie den ganzen Tag getragen hatte, gar nicht erst ausgezogen, hätte aber rasch ihr Nachthemd überstreifen können, wenn ihr Stiefvater länger aufgeblieben wäre, denn er hatte die Angewohnheit, in ihr Zimmer zu kommen und ihr eine gute Nacht zu wünschen, besonders wenn noch Licht brannte, und er sollte keinen Verdacht schöpfen. Es war Nebel aufgekommen, doch er war leicht und durchscheinend, und der drei Viertel volle Mond beleuchtete ihren Weg. Nicht dass sie ihn gebraucht hätte: Sie kannte den Hof so gut wie ein Gefangener seine Zelle und hätte sich auch in völliger Finsternis zurechtgefunden.
    Im Buschwerk regte sich etwas. Der Nebel legte sich darüber, und es war, als wäre die Dunkelheit selbst zum Leben erwacht, als würde sie in einer Tinktur aus Mondlicht pulsieren und fließen. Nach dreißig Metern schon war sie außer Atem, aber nicht aus Schwäche oder Erschöpfung, sondern vor Aufregung. Sie versuchte sich zusammenzureißen und ermahnte sich, vorsichtig zu sein und nichts zu übereilen – er sollte sie als die sehen und achten, die sie war, bevor sie sich von ihm küssen und berühren ließ –, doch ihr Herz raste schon den ganzen Abend, als zöge er sie an diesem dünnen gehämmerten Draht zu sich. Der Abort war ein schwarzer Monolith, ein Schatten unter anderen Schatten. Der Gestank drang ihr in die Nase. Sie ging zur Rückseite des Häuschens und fand, das habe er schlau geplant: Sollte jemand sie sehen, dann hatte sie eine perfekte Ausrede, denn sie ging ja nur aufs Klo. Sie folgte dem Ruf der Natur, dachte sie und lächelte in sich hinein.
    Aber wo war er? Sie erkannte nur die dunkel aufragenden, im Mondlicht schwach schimmernden Felsen und die spärlich wachsenden Büsche, die ringsumher verteilt waren wie abgelegte Kleider. Hatte er sie vergessen? Sie irregeführt? Sich einen Witz auf ihre Kosten gemacht? Wenn das stimmte – und sie stellte sich vor, wie er schief grinsend in seiner Koje lag –, dann würde sie am Morgen auf seine Spiegeleier spucken, dann würde sie ihn vor aller Augen bei Tisch ohrfeigen und ihrem Stiefvater sagen, dass er ... Doch dann bewegte sich plötzlich einer der Felsen, und er stand vor ihr.
    Cariña , flüsterte er, nahm ihre Hand und führte sie ohne einen Kuss oder eine Liebkosung rasch davon. Sein Griff war fest, zu fest, als fürchtete er, sie könnte sich losreißen, doch sie widerstrebte nicht, sie protestierte nicht, sondern folgte ihm stolpernd und keuchend. Sie gingen schnell, keine Zeit für Zögern oder Nachdenken, und als sie an den Zaun kamen, legte er die Hände an ihre Taille und hob sie hinüber auf die längst gemähte Heuwiese, auf der die Schafe nun die letzten Stoppeln abgrasen durften. Und dann zog er, wie Jimmie, seine Jacke aus – oder nein, das war keine Jacke, sondern eine Art Umhang, den die Scherer serape nannten, und breitete ihn auf dem Boden aus.
    Sie sah, wie der Schatten sich auf der Decke niederließ, und dann zog er sie zu sich hinunter und drehte sie so, dass sie den Boden unter den Füßen verlor und hart aufschlug. Sie kam sich vor wie ein Schaf, das geschoren werden sollte. Ohne ein Wort begann er, an ihr zu zerren, an ihrem Rock und ihren Beinen, seine Hände wühlten im Stoff, und er presste sein Gesicht an das ihre, aber nicht um sie zu küssen, sondern um sie zu Boden zu drücken. Seine Wange war eine Drahtbürste. Seine Hände waren aus Stein. Sie wollte, dass er aufhörte, sie wollte mit ihm reden, sie wollte ein Versprechen hören, und jetzt, da es zu spät war, erkannte sie, wie naiv es gewesen war zu glauben, er würde sich mit Küssen und der Art von Manipulation, die sie an Jimmie geübt hatte, zufriedengeben. Er wühlte, er zerriss ihre Unterwäsche, und noch immer küsste er sie nicht. Sie spürte seine rauhe Wange, er neigte sich vor und wieder zurück und spannte sich an, und dann drang er in sie ein, und jetzt war mit einemmal sie aus Stein, nicht nur ihre Hände, sondern ihr ganzer Körper, als hätte sein Gewicht sie in diesen Zustand versetzt.
    Danach, als er fertig war, als er nicht mehr in ihr war, sondern im Dunkeln neben ihr saß und Cariña, Cariña flüsterte, lag sie steif da und sah die Sterne, die Löcher in das Gewebe der Nacht bohrten, und dann wollte er sie noch einmal, und was machte es schon, wenn er mit

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