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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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geht’s dir?«
    Sie wollte ihm die übliche Antwort geben und sagen, es gehe ihr gut, doch statt dessen hielt sie ihm die Tür weit auf, bat ihn herein und sagte: »Ich langweile mich zu Tode, weil hier ein Tag wie der andere ist, das müsstest du doch wissen. Aber komm, setz dich, ich mache dir was zu essen. Hast du Hunger? Möchtest du Tee? Ich kann dir Toast machen, und wir haben noch ein bisschen von der Erdbeermarmelade, die bei der letzten Bootsladung dabei war.« Wenn ihre Stimme bebte, so hatte das nichts mit Berechnung zu tun, jedenfalls noch nicht. Sie war aufgeregt, entzückt, das war alles, denn hier war etwas Neues, eine Unterbrechung des Alltags, und die gewaltig aufragende Mauer des Tages stürzte mit einemmal in einer Staubwolke zusammen.
    »Ich will keine Umstände machen«, murmelte er und stand groß und unbeholfen vor ihr. Er hielt eine zusammengerollte Decke unter dem Arm, und seine Jacke war an den Ellbogen geflickt. Im nächsten Augenblick zwängte er sich auf den Stuhl an dem fleckigen Tisch am Fenster; er hatte kaum Platz, seine Beine waren zu lang, das geneigte Küchendach drückte von oben, aber dann saß er. »Ich hab mir heute morgen auf dem Boot ein paar Abalonen gebraten, also ...« Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern klopfte seine Taschen ab, bis er gefunden hatte, was er suchte: eine Flasche. Er stellte sie auf den Tisch. »Möchtest du was trinken?«
    »Was trinken?« Ihr Stiefvater hatte ihr alkoholische Getränke verboten. Er verbot ihr den Kontakt mit dem anderen Geschlecht, er verbot ihr, zur Schule zu gehen oder ihre musikalische Ausbildung fortzusetzen oder irgend etwas zu erfahren, was man als Leben bezeichnen könnte, weil er sie unter seiner Fuchtel haben wollte, weil sie kochen und putzen und sein Bett machen sollte, während er über die Hügel ritt oder abends Karten spielte und aus seiner eigenen Flasche trank. »Was ist das?« fragte sie. »Whiskey?«
    »Rum«, sagte er und zog den Korken mit den Zähnen heraus. »Hol dir ein Glas. Zwei Gläser.«
    Er sah ihr grinsend zu, als sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte und ihr Glas an die Lippen führte. Das also ist Rum , dachte sie. Das scharfe, giftige Aroma, das stark an ein Lösungsmittel erinnerte, trieb ihr die Tränen in die Augen, und dann brannte die Flüssigkeit auf ihren Lippen, auf der Zunge und in der Kehle. Sie biss die Zähne zusammen und hielt überrascht den Atem an. Dann tupfte sie sich die Augen mit dem Schürzenzipfel ab.
    Er lachte laut. »Nein, nein«, sagte er, »nicht nippen. In einem Zug runter damit – so.« Er setzte sich auf, warf den Kopf in den Nacken und trank sein Glas mit einem Schluck aus. »Komm, probier’s noch mal.«
    Sie lachte ebenfalls, denn es war komisch, nachmittags um vier in der Küche zu sitzen und Rum hinunterzustürzen. Er war ein Schluckspecht, ja, das war er. Es war komisch. Zum Lachen. Und dann tat sie es ihm nach, war selbst ein Schluckspecht und stürzte ihr Glas hinunter. Es schüttelte sie, so heftig war der Schock: Es war, als hätte sie eine Harke verschluckt, einen dieser emaillierten Rückenkratzer, die man in Chinatown verkaufte, und das Brennen war jetzt in ihrem Bauch. Wieder biss sie die Zähne zusammen. Sie wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus.
    »Guter Stoff, was?«
    »Schrecklich. Wie kann man so etwas trinken?«
    Er zuckte die Schultern und sah in die Ferne. »Man muss erst auf den Geschmack kommen«, gab er zu. »Man gewöhnt sich daran.«
    »Man gewöhnt sich daran?« Sie spürte bereits die Wirkung des Alkohols oder glaubte sie jedenfalls zu spüren: Ihre Glieder fühlten sich leichter an, irgendein Organ tief in ihr, von dessen Existenz sie bisher nichts geahnt hatte, begann zu beben, und die Luft ringsum war so dicht geworden, dass sie glaubte, aufstehen und darauf laufen zu können. »Ich dachte, es soll einem schmecken.«
    »Komm«, sagte er, erhob sich umständlich und hielt ihr seine Hand hin, »wir werden mal versuchen, es geschmacklich zu verbessern.« Er zog sie durch die Küche zu dem Korb, in dem sie die Orangen, Grapefruit und Zitronen aufbewahrte, die Charlie Curner von Zeit zu Zeit brachte, und dann sah sie zu, wie er mit einer Hand den halb zerlegten Hammel beiseite schob und zwei Orangen und eine Zitrone durchschnitt. Das Fleisch und das Blut auf dem Hackklotz schienen ihn nicht zu stören. Er nahm die Früchte und drehte sich um, als hätte er eine heilige Mission zu erfüllen – und auch dies war komisch,

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