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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Pullover über den Kopf zog, die Schuhe aufschnürte, das Hemd aufknöpfte – waren so langsam, als wäre er tief unter Wasser und kämpfte gegen eine starke Strömung an. Zuvor hatte sie in der Küche den Abwasch erledigt und versucht, ihn aus seinen Gedanken zu reißen: Wollte er vielleicht Radio hören? Oder sich mit ihr an den Kamin setzen? Hatte sie ihm eigentlich schon erzählt, dass Betsy heute fünf dreistellige Zahlen addiert hatte, und zwar fehlerfrei? Wollte er mit Pomo einen Spaziergang machen oder sollte sie den Hund einfach hinauslassen? Er rutschte ein bisschen auf seinem Stuhl hin und her – das bewies immerhin, dass er noch am Leben war –, doch als Antwort auf ihre Fragen grunzte er nur oder verzog das Gesicht.
    Als er nun zusammengesunken dastand und auf seine abgelegten Kleider starrte, als brächte er nicht die Willenskraft auf, sie aufzuheben und über den Stuhl zu hängen, klappte sie ihr Buch zu und legte es auf den Nachttisch. Sie wusste, was ihm durch den Kopf ging, sie wusste, wie sehr er sich manchmal durch irgendwelche Umstände hinunterziehen ließ. Diese beiden Männer waren dort draußen im Dunkeln, auf seiner Insel – und das war ein Gedanke, den er nicht ertragen konnte. »Komm ins Bett«, sagte sie und klopfte neben sich auf die Matratze. »Morgen früh fühlst du dich besser – du brauchst jetzt vor allem ein bisschen Schlaf.«
    Er sah sie geistesabwesend an, ließ sich auf das Bett sinken und schlug die Decke zurück.
    »Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Wirklich nicht. Ganz bestimmt. Du hast gehört, was sie gesagt haben: Es ist bloß eine Untersuchung. Und du weißt doch, wie das ist mit diesen Untersuchungen: Alles wird untersucht, aber es kommt nichts dabei heraus.«
    »Ich weiß«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Ich weiß. Du hast recht.«
    »Bis hier irgendwas passiert, sind wir alte Leute. Dann sitzen wir nebeneinander in unseren Schaukelstühlen auf der Veranda, und die Mädchen sind längst erwachsen und verheiratet.«
    »Die Navy«, sagte er mit Grabesstimme. »Was kann die Navy von uns wollen?«
    »Das wissen die wahrscheinlich selbst nicht. Das sind Bürokraten, sonst nichts. Die schieben in Washington Papierstapel hin und her.« Erst jetzt bemerkte sie, dass er bebte. »Du zitterst ja. Ist dir kalt?«
    Er gab keine Antwort.
    Sie schlug die Decke zurück. »Na komm, kuschel dich an mich, ich werde dich schon wärmen.«
    »Und wenn sie uns vor die Tür setzen?« sagte er und legte sich steif neben sie. »Was dann? Wo sollen wir dann hin?«
    »Die werden uns nicht vor die Tür setzen.«
    »Aber was, wenn sie’s doch tun?«
    »Ganz gleich, was passiert«, sagte sie und schmiegte sich an ihn, »du hast immer mich und die Mädchen. Immer. Ganz gleich, was passiert.«
    Aber er war verbittert – verbittert und deprimiert. »Schwacher Trost«, sagte er, kehrte ihr den Rücken und zog sich die Decke über den Kopf.

DAS GESCHENK
    Wie meist bei solchen Vorgängen kam nicht viel dabei heraus. Die Männer vom Innenministerium gingen auf der Insel herum und machten sich Notizen – sie sah sie nur einmal aus der Ferne, zwei kauernde Gestalten, die in der Erde unter einem verkrüppelten Busch gruben und sich kaum von den Schafen unterschieden, nur dass die Schafe Wolle trugen –, und dann waren sie verschwunden. Als sie fort waren, tauchte Herbie aus seiner Depression auf und schrieb erboste Briefe an Bob Brooks, den Marinestaatssekretär, das Innenministerium und den Abgeordneten ihres Wahlkreises, dessen Namen nur ein Matrose des Küstenwachboots zu kennen schien, und danach war er wieder Herbie und stürzte sich von einer Arbeit in die nächste, als wäre er eine der Bienen, die ihre Blumen umsummten, die Geranien, die es irgendwie geschafft hatten, auf dem Hof zu überleben.
    Alles blieb, wie es war. Die Zeit verging. Die Deutschen nahmen Paris ein und trieben das britische Expeditionskorps bei Dünkirchen ins Meer, aus 1940 wurde 1941 , die Schafe grasten, und sie brachte fünfmal die Woche Lammfleisch auf den Tisch, Woche für Woche. Herbies Stimmung sank und hob sich nach ihrem eigenen rätselhaften Rhythmus, die Mädchen wurden größer und klüger, und ihre Testergebnisse lagen im landesweiten Vergleich in den obersten Rängen ihrer jeweiligen Altersgruppe. Der Winter war verregnet und das Frühjahr feucht, was für fette Schafe und außerordentlich viel Wolle sorgte, und das gerade zu einer Zeit, als wegen des Kriegs in Europa die Nachfrage stieg.

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