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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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würde.« Er blinzelte in die Sonne, das Blau seiner Augen war hell und verwaschen. Sie sah, dass er sich seit ein, zwei Tagen nicht rasiert hatte: Die hellgrauen Stoppeln sprenkelten sein Kinn und krochen hinauf zu den Koteletten. Sein Haar war noch nicht ganz ergraut, aber wer ihn so sah, in seinen Nagelstiefeln, der kurzen Hose und dem Hemd mit dem weichen Kragen, hätte ihn – abgesehen von den Epauletten – für Herbies Zwillingsbruder halten können. »Wenn ich arbeite«, sagte er und hob den Rucksack auf, »ernähre ich mich von Schweinefleisch und Bohnen aus der Dose.«
    Am ersten Abend luden sie Frank ein, sein Zelt auf dem Hof aufzustellen, wo es vor dem Wind geschützt war, doch schon am zweiten wurde er in Jimmies Zimmer einquartiert und setzte sich mit Herbie in die Killer Whale Bar. Nachdem sich sein anfängliches Misstrauen als unbegründet erwiesen hatte, schloss Herbie schnell mit ihm Freundschaft und begleitete ihn, sofern er die Zeit erübrigen konnte, sogar bei seinen Erkundungen. Sie freute sich darüber. Herbie brauchte männliche Gesellschaft – Jimmie war seit Monaten nicht mehr dagewesen, und Bob Brooks hatte sie schon immer bestenfalls sporadisch besucht. In den eineinhalb Wochen, die Frank bei ihnen verbrachte, stieg Herbies Stimmung wie George Hammonds Flugzeug, und als George dann kam, verbrachten die drei Stunden in der Bar. Ihre Stimmen hoben und senkten sich, und ihr Gelächter schallte über den Hof, bis die Fensterscheiben leise klirrten.
    Als George wieder nach Hause geflogen war, saßen sie, Herbie und Frank eines Abends im Wohnzimmer und hörten Radio. Die Mädchen lagen im Bett, und der Wind war dabei, sich zum Sturm zu steigern. Irgendwann verstummte das Radio – der Wind, sagte Herbie –, und dann saßen sie am Kamin und unterhielten sich leise, während Sandkörner an die Fenster prasselten. »Hört sich an, als wären da draußen tausend Katzen, die reinwollen«, sagte Frank, stand auf und schürte das Feuer.
    »Wo sind unsere Katzen eigentlich?« fragte Herbie sie.
    »Mr. Fluff ist bei den Mädchen«, sagte sie, »und die anderen schleichen wahrscheinlich draußen herum.«
    »Bei dem Wetter?«
    »Keine Sorge, die können schon auf sich aufpassen. Und wer weiß, vielleicht fangen sie sogar die eine oder andere Maus. Wussten Sie, Frank, dass Herbie ein Herz für Mäuse hat? Können Sie sich das vorstellen?«
    »Mäuse? Nicht im Ernst, oder?« Frank warf, den Schürhaken in der Hand, einen Blick über die Schulter. »Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Mäuse sind schmutzige Tiere. Wenn man ihnen nur kurz den Rücken kehrt, rennen sie über den Tisch und machen sich über das Essen her. Und wenn man ein Lager aufgeschlagen hat und den ganzen Tag unterwegs ist, sind sie die Pest, das können Sie mir glauben. Das Schlimmste ist, dass sie an allem nagen. Man braucht nur irgendwas herumliegen zu lassen, und schon nagen sie daran – an einem Hammer, an Unterwäsche, ja sogar an der Zahnbürste.«
    »Alles, was lebt, hat ein Recht zu leben«, sagte Herbie.
    Funken stoben vom Feuer auf. Frank schürte es weiter – noch mehr Funken –, lehnte den Schürhaken an die Wand und setzte sich wieder. »Kann schon sein«, sagte er, »aber das Recht der Katze scheint dem der armen Maus zu widersprechen.«
    »Das Gesetz der Natur«, sagte Herbie. »Das gilt auch für Menschen. Sieh dir die Japse an. Oder die Krauts. Oder den Duce.«
    »Ja, sieh sie dir an. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, was auf der Welt so passiert. Immerhin seid ihr davor geschützt.«
    Sie saßen da und dachten darüber nach, wie weit man sich – geographisch wie spirituell – vom Weltgeschehen zurückziehen müsste, um wirklich in Sicherheit zu sein. Sofern es so etwas wie Sicherheit überhaupt geben konnte. Nach einer Weile sagte Frank: »Fühlt ihr euch manchmal einsam hier draußen – oder deprimiert? Bei diesem Wetter? In einer Nacht wie heute?«
    »Nein«, sagte sie, ein bisschen zu schnell.
    »Klar«, gab Herbie zu. »Aber das wäre woanders doch auch so, oder?«
    Frank zuckte zustimmend die Schultern, lehnte sich zurück und legte den Fuß quer über das andere Knie, so dass die Unterseite seines Stiefels zu sehen war. Der Absatz war völlig abgelaufen und die Sohle so dünn, dass sie kaum mehr Schutz bieten konnte als ein Blatt Papier, und Elise dachte an die Hunderte von Kilometern, die er in einsamen Gegenden zurückgelegt hatte, über Berge aus Granit und durch Wüsten voller Kakteen,

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