San Miguel: Roman (German Edition)
Wind war noch immer schwach, noch immer warm, und schon bevor das Ranchhaus in Sicht kam, das sich wie eine langgestreckte, niedrige Festung hinter den schnurgeraden Bretterzaun duckte, konnte sie den Rauch des Herdfeuers riechen, vermischt mit dem leisen Duft der Marinarasauce. Kurz darauf marschierte sie an der Außenseite des Zauns entlang, hörte den Ganter im Hof schnattern und fühlte sich besser, unendlich viel besser. Sie hatte nur mal ins Freie gemusst, das war alles.
Als sie um die Ecke am vorderen Ende des Hofs bog, erstarrte sie: Herbie stand am Tor und redete mit zwei Fremden in Anzügen. Was an sich schon seltsam genug war. Noch seltsamer aber war, dass Herbie vor dem Tor stand, anstatt beiseite zu treten und die Männer ins Haus zu bitten. Ihr erster – absurder – Gedanke war: Vertreter. Oder Zeugen Jehovas. Aber dann wurde es ihr klar: Reporter, noch mehr Reporter. Doch als sie näher kam, sah sie, dass Herbie wütend war, dass er die Schultern reckte und ein finsteres Gesicht machte, und warum sollte er das tun? Er liebte Reporter, er hieß sie willkommen, je mehr es waren, desto besser.
»Nein, das werden Sie nicht«, sagte er, und seine Stimme klang hoch und erregt. »Dazu haben Sie kein Recht.«
Die beiden Männer unterschieden sich eigentlich nur dadurch, dass der eine, der ihr am nächsten stand, Kaugummi kaute. Seine Kiefer waren in hektischer Bewegung, als Herbie vor seinem Gesicht gestikulierte. »Warum regen Sie sich denn so auf?« sagte er.
»Aufregen? Sie glauben, ich bin aufgeregt? Wenn ich aufgeregt wäre, würde ich reingehen und eins meiner Gewehre von der Wand nehmen. Nein«, sagte er. »Nein, das kommt nicht in Frage. Bob Brooks – reden Sie mit Bob Brooks, der wird Ihnen – «
In diesem Augenblick bemerkten sie Elise. Sie wandten die Köpfe und blickten ihr entgegen, als sie am Zaun entlang zum Tor ging. »Hallo«, sagte sie und sah erst die Fremden und dann Herbie an.
Die beiden Männer lüpften die Hüte. Der mit dem Kaugummi lächelte gezwungen. »Mrs. Lester? Hallo, ich bin John Ayers, und das ist mein Kollege Leonard Thompson. Wir sind vom Innenministerium und werden eine Woche hier verbringen, um eine Bestandsaufnahme der Tier- und Pflanzenwelt vorzunehmen. Wir wollten nur hallo sagen. Und uns vorstellen.« Er lüpfte den Hut ein zweites Mal, es war eine rasche, reflexartige Bewegung. Das Kaugummi schnalzte. »Als gute Nachbarn.«
»Wir sind gerade erst gekommen, mit dem Boot der Küstenwache«, warf der andere ein. »Wir wollen unser Lager dort unten am Strand der Bucht aufschlagen. Ein schönes Plätzchen übrigens – wenn wir nur ein bisschen mehr Sonne hätten, hm?«
Herbie hatte dazu nichts zu sagen, doch sie merkte, wie irritiert er war – jeder ungebetene Besucher erregte seinen Zorn, und obwohl er natürlich wusste, dass das Land der Bundesregierung unterstand, die die Weiderechte lediglich an Bob Brooks verpachtet hatte und die Sache jederzeit beenden konnte, vergaß er diese Tatsache oft oder wischte sie beiseite. Oder er leugnete sie einfach. Die Bundesregierung war irgend etwas Abstraktes, weit entfernt und ungreifbar, wohingegen er und sie, die Gebäude und die Schafe und die Erde unter ihren Füßen, die er besaß und bearbeitete und deren Ertrag er genoss, sehr real waren. Die Bundesregierung. Franklin Delano Roosevelt. Er verachtete sie, wie er die Wilderer verachtete, die kamen, um seine Schafe zu stehlen.
»Sie machen also eine Untersuchung«, sagte sie, nur um etwas zu sagen.
»Ja, Ma’am«, sagte der erste, Ayers. »Nichts, was Sie beunruhigen müsste, stimmt’s, Leonard?« Der andere schüttelte den Kopf. »Es geht bloß um die Weideschäden und Möglichkeiten für – «
»Verbesserungen«, warf der andere ein.
Das war der Augenblick, in dem sie begriff. Die Zuständigkeit für San Miguel war vom Schiffahrtsamt an das Innenministerium übergegangen, und es hatte geheißen, die Nationalparkbehörde wolle die Verwaltung der Insel übernehmen, doch wie alle Gerüchte hatten auch diese nur kurz die Runde gemacht und waren dann nach Santa Cruz und Santa Rosa weitergezogen, damit die Rancher dort sich ein bisschen herumärgern konnten. Und jetzt hatten sie sich direkt vor ihrer Haustür materialisiert. Mit einemmal bekam sie Angst. Oder nein, nicht Angst – es war vielmehr, als hätten die beiden sich von hinten angeschlichen und sie gestoßen.
»Ich weiß nicht, wie lange Sie schon hier sind, aber – « begann Ayers.
»Zehn
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