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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Möglichkeiten waren begrenzt, und das Weihnachtsessen bestand zwar aus frischem Heilbutt in einer Sauce aus Mehl und Kondensmilch, die sie mit ein paar der von den Scherern zurückgelassenen Chilischoten gewürzt hatte, aber es gab nur wenig Kartoffeln und frisches Gemüse, und der Weihnachtspudding wurde durch einen mit Rosinen bestreuten Vanillekuchen ohne Eier und ohne Butter ersetzt. Noch schlimmer war – aus Herbies Perspektive jedenfalls –, dass sie auch keinen Whiskey mehr hatten, denn die alten Vorräte waren längst aufgebraucht und die beiden Flaschen Grand Sire, die George ihnen an Thanksgiving mitgebracht hatte, bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken. So ungefähr das einzige, was etwas Weihnachtsstimmung verbreitete, waren die leisen, knisternden Weihnachtslieder, die sie auf irgendeinem Sender hereinbekamen, aber in diesen Tagen und Wochen nach Pearl Harbor waren selbst die Radiosignale undeutlich.
    Die beiden Jungs von der Navy – und es waren tatsächlich Jungen, achtzehn und zwanzig Jahre alt – trafen am Neujahrstag ein. Sie kamen, beladen mit zwei Rucksäcken und einem Gewehr, den Weg von der Bucht heraufgeschlurft. Offenbar hatte ein Kanonenboot sie abgesetzt, doch weder sie noch Herbie hatten etwas gehört – die erste, die sie bemerkte, war Marianne. »Mommy, Mommy«, rief sie und kam in die Küche gerannt, »da ist jemand auf dem Weg!«
    Sie und Herbie ließen alles stehen und liegen und gingen zum Tor. Herbie wischte unsichtbaren Staub von den Epauletten, und sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. Die Jungs schienen es nicht eilig zu haben, sie trödelten geradezu und sahen sich mit angespannten, wachsamen Gesichtern nach allen Seiten um. Stadtmenschen , dachte sie. Der Gedanke kam ganz automatisch: Sie hatte sich ihr Aufenthaltsrecht hier verdient, sie war die Pionierin, und sie waren die vom Festland, die Neulinge – es hätte sie nicht überrascht, wenn die beiden in ihrem ganzen Leben noch nie weiter als einen Block von der nächsten Straßenbahn entfernt gewesen wären. Man brauchte sie sich nur anzusehen, wie sie daherschlichen, als fürchteten sie, der Himmel könnte ihnen auf den Kopf fallen.
    Als sie das Tor erreicht hatten, stellte der Größere – ein Astheniker mit einem Adamsapfel, der eher wie ein Kropf aussah – seinen Rucksack ab und salutierte vor Herbie. »Vollmatrose Reg Bauer. Zu Diensten«, sagte er. »Und das ist Matrose Frederick Frederickson.«
    Der andere Mann – oder vielmehr Junge – hatte ein freundliches Gesicht und kleine, weiche Mädchenhände. Seine Füße, die in staubigen Militärstiefeln steckten, konnten nicht viel größer sein als die von Marianne. Er nahm die Mütze ab und nickte ihnen zu. »Nennen Sie mich Freddie«, sagte er.
    Es trat ein unbehagliches Schweigen ein. Herbie war keine Hilfe – er war schon wieder aufgebracht. Sein Haar war zerzaust, und in der Hand hielt er noch das Buch, das er gelesen hatte. Wie bei ihrer ersten Begegnung mit Frank Furlong starrten die Mädchen die beiden Jungs an, als hätten sie noch nie andere Menschen gesehen, und das – diese Inselschüchternheit – war etwas, was sie ablegen mussten. Das war nicht in Ordnung. Sie mussten lernen, sich unter Leuten zurechtzufinden. Schließlich sagte sie: »Ich bin Mrs. Lester – Elise –, und das ist mein Mann, Herbert. Wie können wir Ihnen helfen?«
    Der erste stieß ein Lachen aus. »Nein, nein, Ma’am, Sie verstehen nicht – wir sind hier, um Ihnen zu helfen. Wir haben den Befehl, hier Quartier zu nehmen und nach feindlichen Aktivitäten Ausschau zu halten. Und natürlich auch« – er klopfte auf das Gewehr, das er über die Schulter gehängt hatte – »Sie zu beschützen, für den Fall, dass feindliche Kombattanten erscheinen. Auftauchen, meine ich. Das heißt, Japaner.«
    »Ja, von denen haben wir schon mal gehört«, sagte Herbie mit von Sarkasmus triefender Stimme. »Das sind diese kleinen gelben Scheißkerle mit den Hasenzähnen.«
    »Ja, Sir«, sagte der andere und versuchte ein Lächeln. Er hatte Pickel im Gesicht und auf dem Hals, und seine Augen waren gerötet, als hätte er getrunken oder – das war ein rein intuitiver Gedanke – mit den Nachwirkungen der Silvesternacht zu kämpfen. »Genau die«, sagte er. Und dann war das Lächeln verschwunden.
    »Nur um zu sehen, ob ich das auch richtig verstanden habe«, sagte Herbie und lehnte sich gegen das Tor, als wollte er ihnen, wie den Männern vom Innenministerium, den Weg versperren. »Ihr

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