San Miguel: Roman (German Edition)
verstanden?«
Edith beugte sich bereits zum Ofen. Sie hielt das Lamm in den Armen und wiegte es, als wäre es ein Kind, ihr eigenes Kind. »Ja, Mutter«, sagte sie mechanisch und sah dabei nicht einmal auf.
»Und wenn es irgendwelchen Schmutz macht« – sie hielt kurz inne –, »bist du verantwortlich. Du ganz allein. Haben wir uns verstanden?«
DER WIND
Warum sie immer nur mit dem Schlimmsten rechnete, konnte sie nicht sagen, nur dass die Krankheit ihre Sicht auf die Welt verändert, sie selbst hinuntergezogen und ihr die Augen dafür geöffnet hatte, was unter der Oberfläche der Dinge verborgen war. Die Menschen machten Pläne, investierten Geld, absolvierten eine Ausbildung, zogen Kinder groß – und wofür? Für ein Leben nach dem Tod? Zur Ehre Gottes? Um ein weiteres Glied in der Kette des Lebens zu schmieden? Sie wollte nicht zynisch sein – immerhin hatte sie für Edith zu sorgen, immerhin hatte sie Will und den Haushalt und all die Pflichten, die Tag und Nacht auf ihr lasteten. Sie wollte wirklich glauben, dass ihr Leben einen Sinn hatte, dass sie mit diesem Unternehmen Geld verdienen würden, anstatt ihr letztes Kapital zu verlieren, sie wollte wirklich glauben, dass das Leben hier draußen, auf dieser Insel, ihre Lunge heilen würde und dass Ediths Lamm sich erholen und mit jedem Tag kräftiger werden würde – und sie hätte darum gebetet, wenn sie diese Gewohnheit nicht aufgegeben hätte.
Der Tag rückte ihr auf den Leib und war voller Komplikationen. Jedesmal wenn sie in den Salon trat, waren dort das an den Ofen gebundene Lamm und Edith, die es umsorgte. Es roch nach Urin und den Kotkügelchen, die es auf die von Edith ausgebreitete Pferdedecke fallen ließ. Kümmerlich, zart, mit einer Haut, die wie ein Sack über den Knochen hing, stand es schwankend auf und fiel dann wieder in sich zusammen. Dennoch musste Marantha, als es Zeit zum Abendesssen war, zugeben, dass es dem Tier besserzugehen schien – jedenfalls blickten die glänzenden Augen aufmerksam, als Edith es geduldig, Finger um Finger, mit Milch fütterte. »Siehst du, Mutter?« sagte sie und streichelte das Lamm, das sich an sie drückte.
»Es scheint sich wirklich zu erholen«, sagte sie, »meinst du nicht auch, Will?«
Will war gerade vom Vorplatz hereingekommen, wo er mit Adolph einen Geräteschuppen baute, eine Art Vorbereitung auf das Pflügen und die Aussaat und die Verbreiterung des Weges, alles Arbeiten, die beginnen würden, sobald das Saatgut und die Dynamitstangen geliefert waren, was Charlie Curner für die zweite Januarwoche zugesagt hatte. Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt. Unter seinen Fingernägeln war Schmutz. »Ja«, sagte er geistesabwesend, doch dann sah er zu Edith und dem Lamm und fasste sie genauer in den Blick. »Verdammter Blödsinn, wenn du mich fragst.«
Ediths Schultern verspannten sich. Das Lamm blökte leise, als wollte es widersprechen.
Marantha duldete keine Kraftausdrücke, denn das war billig, und es machte sie alle billig, nicht nur den, der diese Sprache benutzte, sondern auch den Rest des Haushalts, und Will wusste das. Sie warf ihm einen strengen Blick zu. »Das sind sehr harte Worte, Will. Wenn du es genau wissen willst: Edith hat die halbe Nacht bei diesem Tierchen zugebracht, sie hat es sehr gewissenhaft gefüttert und alle Hinterlassenschaften beseitigt. Das musst du anerkennen.«
Er machte sich nicht die Mühe zu antworten, sondern stapfte durch das Zimmer und durch den Flur zur Küche, wo das Waschbecken war. Sie hörte ihn etwas zu Ida sagen und dann Idas melodische Stimme, die antwortete.
Edith sah ihm nach, raffte die Röcke, setzte sich auf den Boden neben das Lamm und nahm es in die Arme. Sie streichelte seine Ohren und flüsterte ihm etwas zu. Ihr Kinn zitterte. »Ich verstehe nicht, warum alles, was ich tue, ganz gleich, was es ist, immer falsch ist«, sagte sie schließlich. »Hab ich denn unrecht? Hab ich immer unrecht?«
Eigentlich wollte Marantha etwas sagen wie: Pass auf, wo du dich hinsetzt , oder: Du machst dich schmutzig , doch sie schüttelte nur den Kopf und sagte: »Nein, ganz und gar nicht.«
Am nächsten Morgen erwachte alles zu hellem Sonnenschein. Es war so warm, dass Edith sich mit dem Lamm auf den Vorplatz setzen konnte. Im Lauf des Tages aber ging sie ein dutzendmal ins Haus, half Ida, Bilder aufzuhängen, den einzigen präsentablen Teppich auszurollen, den sie hatten mitnehmen können, und die Möbel so umzustellen, dass der Raum gemütlicher
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