San Miguel: Roman (German Edition)
Gleichgewicht und das ganze wacklige Haus zum Einsturz bringen.
Schließlich wurde der Druck auf ihre Blase unerträglich, und sie warf die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Die Kälte der Luft und der Dielenbretter unter ihren Füßen war ein Schock. Es war absolut dunkel, und sie musste sich ihren Weg ertasten und fürchtete jeden Augenblick, über den Stuhl oder den Schrankkoffer zu stolpern und in ein gähnendes schwarzes Loch zu fallen. Sie wollte sich nicht beklagen – sie wollte nur das Beste für Will und Edith –, aber sollte es hier nicht eigentlich warm sein, hatte man ihr das nicht versprochen? Oder jedenfalls wärmer ? Das war es, was sie in Gedanken vor sich hin murmelte, aber dann berührte ihre ausgestreckte Hand die Wand, und an der Wand entlang kam sie zur Ecke, doch weil es die falsche war, konnte sie den Nachttopf nicht finden, und als sie, in alle Richtungen tastend, ihren Irrtum erkannte, war der Druck in ihrem Bauch so groß, dass sie fürchtete, sie könnte sich einnässen wie ein Kleinkind, und wie sollte sie dann den Fleck auf dem Boden und den Geruch ihres Nachthemds erklären? Verzweifelt wandte sie sich nach rechts, kam an die Tür mit ihrer kalten Eisenklinke und danach an die nächste Wand, tastete sich daran entlang, auf eiskalten Füßen und unter dem an- und abschwellenden Geheul des Sturms, und stieß schließlich mit dem Schienbein an etwas Festes. Der Nachttopf protestierte klappernd.
Eilig hob sie den Deckel ab und hockte sich, so gut es im Dunkeln ging, auf den Topf, doch dann – es war pervers – wollte nichts kommen. Sie dachte an das Außenklo und wie verwundert sie gewesen war, als man ihr gesagt hatte, es liege über fünf Kilometer vom Haus entfernt (damit nichts ins Trinkwasser sickern konnte, wie Will ihr erklärt hatte, und dabei war deutlich zu merken gewesen, wie peinlich es ihn jetzt, da Frauen im Haus waren, berührte, dass er nicht früher daran gedacht hatte, und er hatte versprochen, es so bald wie möglich näher, viel näher zum Haus zu verlegen), und wie überaus unzivilisiert das war, als der Urin schließlich in einem heißen Rauschen in den Topf floss. Rasch reinigte sie sich und schlüpfte wieder ins Bett.
Am nächsten Morgen stürmte es noch immer. Draußen – doch das bemerkte sie erst später – türmte sich der Sand an allem, was aufrecht stand, zu Verwehungen auf, an den Wänden des Hauses und der Nebengebäude, an den Zaunpfosten, ja sogar am Flaggenmast, so dass die Männer den ganzen Vormittag damit beschäftigt waren, ihn wegzuschaufeln. Will schlief und atmete tief und regelmäßig. Das einzige Geräusch war das Heulen des Windes. Nach einer Weile stand sie leise auf, zog Hausschuhe und Morgenmantel an und ging hinunter, um sich, zur Beruhigung ihrer Nerven, einen Tee zu machen. Sie dachte weder an Ida, die hinter der dünnen Tür des fensterlosen Verschlags unter der Treppe schlief, noch an den Küchenherd, in dem die Glut über Nacht erloschen war, oder an das Holz, mit dem sie ein neues Feuer entfachen würde – und ebensowenig dachte sie an den anderen Ofen im Esszimmer hinter ihr oder an das Lamm, das daran festgebunden war. Nein, sie dachte nur an den Sturm und daran, welch ein Wunder es war, dass er nicht die Fensterscheiben zerschmettert und die Wände wie Papier zerdrückt hatte. Sie dachte daran, wie kalt das Haus war, wie fremd, und fragte sich zum hundertstenmal in den vergangenen drei Tagen, worauf sie sich eingelassen hatte.
Erst als das Feuer im Küchenherd brannte und sie den Kessel mit Wasser gefüllt und auf die Platte gestellt hatte, ging sie durch den Flur zum Salon, um dort ebenfalls Feuer zu machen. Erst da fiel ihr das Lamm wieder ein. Und das auch nur, weil es steif auf dem Boden lag, das Seil, gegen das es im Dunkeln angekämpft hatte, zwei-, dreimal um den Hals geschlungen.
JIMMIE
Gegen Ende der ersten Woche fühlte sie sich kräftiger, so dass sie wenigstens ein paar Stunden täglich den Haushalt führen und sogar einen Teil des Kochens übernehmen konnte, zur Abwechslung und damit Ida Zeit für andere Aufgaben hatte, zu denen nicht zuletzt gehörte, das Haus von einem Teil des Schmutzes zu befreien, den die Schafhirten hinterlassen hatten. Die Böden waren am übelsten zugerichtet, zernarbt von den Stiefelabsätzen einer ganzen Generation von Schafscherern und übersät mit Flecken von Öl, Wollfett und Schlimmerem. Selbstverständlich war auch die Küche schmutzig, doch Marantha wies Ida und Edith an,
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