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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gerade das Fleisch der Scheren war doch besonders gut, aber das wusste niemand außer Will, und der sagte nur: »Ja, sehr lecker.«
    Es herrschte Schweigen, die einzigen Geräusche waren das Knacken der Panzer und das Klirren des Bestecks. Edith mühte sich, ihren Hummer allein mit der Gabel aufzubrechen, denn das eine Messer hatte Adolph und das andere Will, und wegen der Reaktion der Männer auf den Tod ihres Lamms sprach sie nicht mit den beiden. Will war besonders grob gewesen. »Das hast du nun von deinem Eigensinn«, hatte er gesagt, als wäre sie nicht ohnehin am Boden zerstört gewesen, als hätte sie sich nicht selbst schwere Vorwürfe gemacht. Er hatte das Lamm angesehen, die starren Augen und die gezackte rote Linie an der Kehle, wo das Seil eingeschnitten hatte, die eingeknickten Beine und die Zunge, die aussah wie ein großes, schwarzes Stück Fleisch, an dem das Tier erstickt war. »Bring es raus auf den Hof, wo es hingehört«, hatte er gesagt oder vielmehr geknurrt und war mit dröhnenden Schritten durch den Flur in die Küche gegangen. Und Adolph hatte sie, als ginge ihn das alles etwas an, nicht nur beim Frühstück kritisiert, so dass sie unter Tränen aufgesprungen und hinausgerannt war, sondern auch darauf bestanden, das Lamm zu zerlegen und die Haut an die Wand des Schuppens zu nageln, damit sie im Wind trocknete. »Und warum?« hatte Marantha gefragt. »Warum sollte man das tun?« Er hatte sie unverschämt angesehen und auf dem Brotkanten gekaut, den er sich gerade in den Mund geschoben hatte, ein Rancharbeiter, der eigentlich draußen hätte essen müssen – wenn Will nicht so demokratisch gesinnt wäre. »Für Handschuhe«, hatte er gesagt. »Glacéhandschuhe. Das Weichste, was es gibt.« Er hatte kurz gezögert und sie quer über den Tisch direkt angesehen. »Außer einer anderen Sache vielleicht.«
    Will war gerade in der Küche gewesen, außer Hörweite, und das war Adolphs Glück, aber sie hatte den Vorfall nicht vergessen – und Edith ebenfalls nicht. Und seit diesem Morgen nahmen die Rancharbeiter auf Maranthas ausdrücklichen Wunsch ihr Frühstück und Mittagessen in der Küche oder in ihrer Baracke ein. Will – dem sie, aus Angst vor seinem Jähzorn und dem, was er tun könnte, Adolphs Worte nicht wörtlich wiedergegeben hatte – bestand allerdings darauf, dass sie weiterhin gemeinsam zu Abend aßen.
    Und da saßen sie nun also, knackten die Panzer von Hummern und reichten die Schüssel mit den Kartoffeln herum wie eine große Familie, und als Ida mit ihrem Teller aus der Küche kam und sich neben Jimmie setzte, brach Marantha das Schweigen. »Ida«, sagte sie, wie sie es zuvor miteinander abgesprochen hatten, »hast du nicht etwas vergessen?«
    »Ja, natürlich, Ma’am«, sagte Ida, schlug sich an die Stirn und sprang auf, als lägen glühende Kohlen auf ihrem Stuhl. »Wie konnte ich nur?« Alle sahen ihr nach, als sie zurück in die Küche eilte.
    »Worum geht’s?« fragte Will und sah sie an.
    »Ach, nichts Besonderes«, antwortete Marantha und unterdrückte ein Lächeln. »Nur um einen Leckerbissen, eine kleine Belohnung für Jimmie.« Der Junge blickte auf. »Weil er die ganze Arbeit gemacht hat und es nur gerecht ist, wenn er – «
    Und da trat Ida wieder ein und trug, wie ein Ober in einem sehr feinen Restaurant, auf der Schulter die große Platte dampfend und einen Geruch nach Meerwasser verbreitend, die sie vor ihm abstellte.
    »Nur zu«, sagte Marantha, und jetzt konnte sie sich nicht mehr beherrschen, jetzt lachte sie wie ein junges Mädchen, denn der Junge stocherte verwirrt in den nassen, bleichen Strängen, spießte einen auf die Zinken seiner Gabel und hielt ihn hoch. »Nur zu – das ist das Beste am ganzen Essen.«
    Als Charlie Curner schließlich, mit zwei Tagen Verspätung, aus Santa Barbara kam, war sie die erste, die das Segel in der Bucht bemerkte. Sie hatte im Schlafzimmer am Fenster gesessen und an ihrem Sammelalbum gearbeitet. Nach den wenigen Bissen, die sie beim Mittagessen hinuntergezwungen hatte (es hatte den letzten Rest von Ediths Lamm gegeben, den Ida mit Karotten und Kartoffeln geschmort hatte, bis das Fleisch zerfallen war und sich praktisch in der Sauce aufgelöst hatte – ein Essen, das Edith, die seit Tagen von Eiern und Haferbrei lebte, nicht anrührte), war ihr etwas übel. Sie sah von der namenlosen rosaroten Blüte auf, die sie zwischen zwei Seiten des Buchs presste, und da war das Schiff. Sie musste zweimal hinsehen, um sich zu

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