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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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– «
    »Und keine Sintflut.«
    »Nein«, sagte er, schüttelte den Kopf und griff nach der Flasche. Sie sah zu, wie er sein Glas ein zweites Mal füllte und sich vorbeugte, um auch ihr nachzuschenken. »Am meisten ärgere ich mich, wenn ich an die Arbeit denke, die wir in den Weg gesteckt haben. Alles umsonst – es wird alles weggespült, die Böschungen geben nach, überall liegen Felsen herum. Es ist schlimmer als vorher, viel schlimmer. Ich sage dir, es macht mich ganz verrückt, wenn ich nur daran denke.« Er trank einen großen Schluck. »Wenigstens hat Curner das Dynamit mitgebracht. Wenigstens das.«
    »Aber nicht das Geschirr.«
    »Es ist genau wie damals im Krieg«, sagte er mit einer verächtlichen Geste. »Die Nachschubeinheiten waren voller Männer wie Curner: unfähige Trottel, die eine Materialanforderung nicht mal dann vernünftig bearbeiten konnten, wenn ihr Leben davon abhing. Das Zeug, das für einen Angriff gebraucht wurde, lag nutzlos auf irgendeiner Laderampe herum, und keiner konnte einem sagen, wo oder warum. Und keiner übernahm die Verantwortung dafür, darauf konnte man sich verlassen. Es war immer die Schuld von Sergeant Soundso oder vielleicht auch seinem Bruder. Oder von irgendeinem Offizier, der irgendwo hinter seinem Schreibtisch saß. Aber keine Sorge – wir werden’s ihm schon noch beibringen, wir schreiben eine Liste. Und was meinst du, was ganz oben darauf stehen wird?« Er grinste. »Minnies Geschirr.«
    »Und das Besteck. Und die Bettwäsche, wo ist die Bettwäsche? Das möchte ich gern wissen.«
    »Ja«, sagte er, legte den Kopf in den Nacken und trank sein Glas aus, »das ganze Zeug.« Im Schein des Feuers sah er wieder stark und jung aus. Oder jedenfalls jünger als vorhin, als er hereingekommen war. »Aber das Dynamit ist wichtig. Denn ohne das werden wir es nie schaffen, aus diesem Fußweg eine Straße zu machen, bevor die Scherer kommen, dazu sind da einfach zu viele Felsen. Und Mills hat mir, wie du weißt, alles genau erklärt: Diese Wollsäcke wiegen bis zu dreihundert Pfund und können in jeder Kurve das Gleichgewicht verlieren, in die Schlucht fallen und das Maultier, den Schlitten, den Fahrer und alles andere mitreißen. Ich will nicht, dass ein Unfall passiert«, sagte er und setzte sich so hin, dass seine nassen Socken zwei breite dunkle Streifen auf den Dielen hinterließen. »Besonders hier nicht, wo der nächste Arzt acht Stunden entfernt ist.«
    Der nächste Arzt . Sie dachte einen Augenblick darüber nach und sah sich mit gefühllosen Fingern und Zehen, im Mundwinkel ein Blutrinnsal, in der Kajüte von Charlie Curners Schoner liegen, an dessen Rumpf die schwarzen Wellen wie Fäuste trommelten. Wusste Will eigentlich, was er da sagte?
    Aus der Küche drangen Kochgerüche. Alles war still. Sie spürte den Alkohol, es war eine neue Art von Medizin, eine Medizin, die sie emporhob, anstatt sie niederzudrücken. »Ich mag ihn nicht«, sagte sie.
    »Wen? Mills?«
    »Nein«, sagte sie und war jetzt wieder verärgert, » Curner . Hast du nicht gesehen, wie er Edith beäugt hat? Anzüglich, Will, eindeutig anzüglich. Ein Mann in seinem Alter. Es war obszön. Ich will nicht, dass er je wieder einen Fuß in dieses Haus setzt, und es ist mir ganz egal, was er mit meinem Geschirr macht.«
    Er sagte ihren Namen, er flüsterte ihn, bittend: »Marantha.«
    »Und Jimmie«, fuhr sie fort, denn sie konnte jetzt nicht mehr aufhören, und alle Sorgen, die sie in sich verschlossen hatte, sprudelten heraus, »ist kein Umgang für Edith. Hast du die beiden zusammen gesehen? Hast du gesehen, wie die beiden, wie er –?« Es war alles zuviel, zu schäbig, zu gewöhnlich, zu gemein. »Sie gehört nicht hierher, Will, darauf läuft es hinaus. Und ich ebenfalls nicht.«
    Es verging ein langer Augenblick. Die Tropfgeräusche im Eimer in der Ecke folgten wieder schneller aufeinander, die Regenrinnen gurgelten, der Regen trommelte mit der Gewalt von Dreschflegeln auf das Dach. Will stand wortlos auf, packte die Flasche am Hals und ging mit schweren Schritten in Richtung Küche.

DER WEG
    Sie blieb im Dunkeln sitzen und hob immer wieder das Glas an die Lippen: der chemische Geruch des Alkohols in ihrer Nase, der Geschmack auf der Zunge, im Mund, in der Kehle. Sie wollte aufstehen, die Laterne anzünden, Ida helfen, den Tisch zu decken, Edith holen – wo war sie eigentlich? –, aber Wills Whiskey, der sie vorhin so beflügelt hatte, zog sie jetzt hinab. Sie hätte ihm nicht so zusetzen

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