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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein Glas Whiskey in der einen und den Löffel in der anderen Hand, am Herd, und der vollkommen durchnässte Jimmie schlug mit der tropfnassen Mütze an seinen Oberschenkel und näherte sich der Wärme. »Was gibt’s zum Abendessen?« fragte er, und wenn er aufsah, als sie in die Küche trat – wenn überhaupt jemand aufsah –, dann nur flüchtig und mit leerem Blick, als hätte sie bereits aufgehört zu existieren.
    Es regnete noch immer, als Will nach dem Abendessen die Karten hervorholte – sie spielten zu viert Whist, sie und Edith gegen Will und Ida, während Jimmie auf einem Stuhl in der Ecke saß und all ihre Bewegungen so aufmerksam verfolgte, als würde er später darüber geprüft, und Adolph sich in die Baracke zurückgezogen hatte, um dort zu tun, was immer er dort tat: an die Decke starren, Schuhe nach den Mäusen werfen und seinen abscheulichen Gedanken nachhängen –, und als es neun Uhr war und sie die Lampen löschten und zu Bett gingen, regnete es so beständig, wie es den ganzen Tag geregnet hatte. Sie spielte mit so viel Gelassenheit, wie sie aufbringen konnte; es war warm, Will war langsam, auch wenn er die Flasche weggestellt und nach dem Essen nur einen Kaffee getrunken und eine Zigarre geraucht hatte, und es machte ihr gar nichts aus, dass sie und Edith ständig verloren, Spiel um Spiel, oder jedenfalls redete sie sich das ein. Wenn es um Karten ging, war Will ein Meister, und sie wollte das neidlos anerkennen und das Spiel als das genießen, was es war: eine Gelegenheit, den Regen und diese vier Wände und die endlose gähnende Langeweile eine Zeitlang zu vergessen.
    Nachdem sie Edith auf dem Treppenabsatz gute Nacht gesagt hatte, ging sie ins Schlafzimmer, um die Lampe anzuzünden und zu Bett zu gehen. Es war kalt – bitterkalt und feucht, als würde man ins Meer springen –, und sie beeilte sich mit ihrer Toilette, beugte sich kurz über die Schüssel, um sich das Gesicht zu waschen, und versuchte, nicht an die Wohnung in der Post Street mit dem fließenden warmen und kalten Wasser und den Klauenfüßen der Badewanne auf den schwarz-weißen Kacheln zu denken. Als Will heraufkam, lag sie bereits fröstelnd im Bett, lauschte dem Regen auf dem Dach und in den Dachrinnen und zählte die Tropfen, die in die drei über den Raum verteilten Eimer fielen. Nichts hatte sich geändert. Da war der Waschtisch, dort der Nachttopf. Neu war nur der Blickwinkel, denn das Bett war einen Meter nach links verschoben, damit es nicht genau dort stand, wo das hartnäckigste Leck war, das den Betthimmel durchnässt hatte. Alles roch nach Schimmel.
    Sie hörte Will auf dem Treppenabsatz und im Flur, jeder Schritt klang wie ein Keulenschlag, und dann war er an der Tür und schob sie ein Stück weit auf. Sein Gesicht tauchte vor dem Dunkel des Flurs auf – er versuchte, die Lage einzuschätzen, die Größe der Lecks, den Füllstand der Eimer und die Stimmung seiner Frau, und daraus konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. »Minnie?« sagte er leise. »Bist du noch wach?«
    Plötzlich verspürte sie den Drang, auf ihn loszugehen – er trank Whiskey mit dem Dienstmädchen, er hatte ihr Adolph aufgezwungen, er hatte sie den ganzen Abend nur als Gegnerin betrachtet, der er Punkte abnehmen musste, um sie Ida zuzuschanzen und seine eigene Tochter ins Minus zu drücken, als ginge es über seine Kraft, sie auch nur ein einziges Spiel gewinnen zu lassen –, doch sie beherrschte sich. Sie war es, die unrecht hatte. Der Nachmittag war so ruhig und friedlich gewesen: der Regen vor dem Fenster, die Wärme des Feuers, der Flaschenhals, der sich erst ihrem und dann seinem Glas zuneigte; es war das erstemal seit langer, langer Zeit gewesen, dass sie ein ruhiges Gespräch geführt hatten, und sie hatte es verderben müssen. Hatte an ihm herumgenörgelt. Tatsächlich hatte sie ihn praktisch aus dem Raum getrieben. In die Küche. Sie war im Begriff, diesen Gedanken noch ein kleines bisschen weiterzuverfolgen – sie hatte ihn zu Ida getrieben –, doch das war ganz und gar undenkbar, eine Phantasie, eine Täuschung. Will war ihr Mann, Ida war das Dienstmädchen, eine zweite Tochter, sie gehörte zur Familie. Sie war ein Kind. Kaum mehr als ein Kind. »Ja«, sagte sie, »ich bin noch wach.«
    Er trat durch die Tür und schloss sie leise hinter sich. Er hatte das Haar gebürstet, auch wenn es noch nicht überall getrocknet war, und sie sah, dass er den Teer – oder jedenfalls den größten Teil – von den Händen geschrubbt

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