Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
hatte. »Wie ich sehe, regnet es nicht mehr durch – oder wenigstens nicht mehr so sehr.«
    »Ja, es ist besser geworden«, sagte sie.
    »Sobald es aufhört, gehe ich aufs Dach und mache alles dicht.«
    Sie sah ihm zu, während er durchs Zimmer ging, die Jacke ablegte, das Hemd aufknöpfte, den Stuhl heranzog und sich setzte, um die Hose auszuziehen: ein Mann, der im Begriff war, zu Bett zu gehen, das Gewöhnlichste von der Welt, und doch intim, sehr intim, denn es war ihr Mann, ihr Ehemann, und wie kam sie eigentlich auf solche Gedanken? Sie waren verheiratet. Mann und Frau. Sie liebte ihn. Er liebte sie. »Wenn du willst«, sagte er und stand jetzt in Unterwäsche da, die harten Muskeln seiner Beine zeichneten sich unter dem dünnen Baumwollstoff ab, die Arme hingen locker herab, und vor ihm wölbte sich die Masse seines Bauches, »leere ich noch die Eimer aus. Das geht ganz schnell.«
    »Nein«, sagte sie, »lass nur.« Sie setzte sich auf und schlug die Decken zurück, so dass er sie im Nachthemd sehen konnte. Ihre Kehle war nackt. Ihr Haar lag offen auf den Schultern. Sie atmete leicht und regelmäßig, die Kälte und die Feuchtigkeit konnten ihr nichts anhaben, gar nichts – sie war in Italien, ja, und von Afrika her wehte der Schirokko, der Gräben austrocknen und Felder verdorren ließ. »Komm ins Bett, Will«, sagte sie.
    Am nächsten Morgen war er vor ihr auf und zur Tür hinaus, polterte die Treppe hinunter und in die Küche, wo er frühstückte, bevor er Gummistiefel und Regenmantel anzog und nach der Schaufel griff, die seine Hände so rauh machte und an Schulter- und Rückenmuskeln zerrte, bis er derart steif war, dass er sich an manchen Abenden kaum mehr aufrichten konnte. Sie wollte ihn massieren, seine Schultern kneten, ihm die Last leichter machen, aber meist schlief sie schon, wenn er zu Bett ging. Gestern nacht war es anders gewesen. Sie war hellwach gewesen, und nachdem er das Licht gelöscht und sich zu ihr ins Bett gelegt hatte – sein Gewicht hatte die Matratze niedergedrückt, und wie auf einem sanften Abhang war sie ganz von allein zu ihm geglitten –, hatte sie versucht, seine Frau zu sein, sich für ihn zu öffnen, ihn zu spüren, doch irgendwie war es ihr nicht gelungen, sich gehenzulassen. Er hatte nach ihr getastet, seine Hände hatten sie gestreichelt, ihr Nachthemd hochgeschoben, sich auf ihre Brüste gelegt, sein massiger Körper hatte sich aufgerichtet und sich an sie gepresst, bis sie nicht so sehr erregt als vielmehr peinlich berührt gewesen war – die eingefallenen Brüste, die Rippen, die hervortraten wie von der Ebbe freigelegte Riffe, die armselig dünnen Beine – und nur noch hatte denken können, dass er in Wahrheit einen Leichnam umarmte. Du bist so dünn , hatte er gemurmelt und sich an ihr zu schaffen gemacht und sie geküsst, auf den Hals, die Ohren, den Scheitel, und in einem Augenblick der Leidenschaft hatte er tatsächlich die Hand an ihr Kinn gelegt und seine Lippen auf die ihren gedrückt, bis sie laut seinen Namen gesagt hatte, streng und zurechtweisend, um dann ihr Gesicht abzuwenden.
    Sie schämte sich. Sie fühlte sich schwach und unzulänglich. Sie lag da und lauschte auf den Regen, der noch immer nicht nachgelassen hatte, der zu einer Bürde geworden war, einer Last, die auf allem lag und alles, auch die Luft, zusammendrückte, bis es war, als regnete es in ihr, in ihrer Lunge, ihrem Herzen, ihrem Kopf, und sie dachte an ihn dort draußen auf dem Weg, im strömenden Regen, wie er die Schaufel mit schmerzendem Rücken und brennenden Schultern in die aufgeweichte Erde stieß, als wäre es von Bedeutung, als wäre irgend etwas von Bedeutung. Sie zwang sich aufzustehen, und der erste lange Krampf kam ganz überraschend. Sie hustete, rang nach Atem, hustete erneut. Der Krug, das Glas, die kleine braune Flasche, der Löffel, an dem getrocknete Reste des Elixiers klebten. Sie kleidete sich mit Sorgfalt an – sie musste, wie elend sie sich auch fühlte, an Edith denken und ihr ein Vorbild sein, denn wenn sie es nicht war, wer sonst? –, und dann zog sie den Stuhl vor den Spiegel, kämmte ihr Haar aus und steckte es auf.
    Das Licht war trüb, doch sie sah auch so mit einem Blick, wie abgezehrt sie war. Ihre Haut war grau, porös und so straff gespannt wie das Lammfell, das Adolph an die Scheunenwand genagelt hatte, während ihre Augen unverhältnismäßig viel größer wirkten, als wäre ihr Gesicht teilweise darin versunken. Sie zwickte sich in die Wangen,

Weitere Kostenlose Bücher