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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und käme jetzt, um bei ihr zu sein, um ihr, trotz allem, was zwischen sie gekommen war, nahe zu sein und im selben Bett zu schlafen wie sie.
    »Es tut mir leid«, sagte er und schlurfte schwankend durch das Zimmer, das verhasste Zimmer, ihre Gefängniszelle, und er hatte getrunken, natürlich hatte er getrunken. Sie sah ihn zum Stuhl in der Ecke am Fenster gehen, den er umständlich hochhob und zu ihrer Seite des Bettes trug, dann stellte er ihn auf die ausgetrockneten Dielenbretter und ließ sich schwer darauf sinken.
    »Was tut dir leid?«
    Wieder schüttelte er den Kopf. »Der neue Mann«, sagte er. »Reed. Der Einarmige. Wie immer man ihn nennen soll.«
    »Was ist mit ihm?« Sie sah den Mann vor sich, so mager, dass er bestimmt nicht viel mehr als Edith wog. Wieviel wog eigentlich ein Arm? Machte er ein Fünftel des Körpergewichts aus? Ein Sechstel?
    »Das wird« – er sprach langsam, mit schwerer Stimme –, »das wird nicht funktionieren.«
    Sie hatte, ein Kissen im Rücken, dagelegen, doch nun setzte sie sich so abrupt auf, dass der Kater aus dem Schlaf hochfuhr, dann aber merkte, dass nur sie es war, seine Besitzerin, die sich bewegt hatte. »Wie meinst du das?«
    »Sieh ihn dir doch an. Er ist schwach, ein Krüppel. Er sieht aus, als wäre er halb verhungert.«
    »Nicht schlimmer als die Männer, mit denen du am Decoration Day die Market Street hinuntermarschierst.«
    »Das ist was anderes. Das sind Veteranen. Und wenn wir einen von denen anstellen würden, wären wir bald bankrott.«
    »Aber ich dachte, ich habe angenommen ...« Wie dumm von ihr. Die Engländer hatten nicht in Wills Krieg gekämpft, sondern im Unabhängigkeitskrieg, und das auch noch auf der falschen Seite. Und wenn irgendwelche Engländer im Bürgerkrieg mitgemacht hatten, dann bestimmt auf der Seite der Konföderierten.
    »Er hat den Arm in einer Dreschmaschine verloren, und was weiß man schon, wie es dazu gekommen ist? Jedenfalls trinkt er, soviel ist sicher.«
    »Du aber auch.«
    »Darum geht es nicht. Oder vielleicht doch. Jedenfalls traue ich ihm nicht zu, dass er die Arbeit schafft. Ich glaube nicht, dass er das kann.«
    »Doch, Will, er kann es. Ich weiß es.« Ihr Ton hatte etwas Flehendes, und sie verabscheute sich dafür. »Er hat zwei Söhne, beinahe erwachsen, und sie – «
    »Es tut mir leid«, sagte er.
    »Leid? Willst du mir damit sagen, dass du nicht vorhast, den Mann einzustellen?«
    »Das Risiko ist zu groß. Wenn die Ranch pleite geht, was wird dann aus unserer Investition?«
    »Investition?« Sie warf ihm das Wort vor die Füße. »Das nennst du eine Investition?«
    »Wir können doch nicht – «
    »Doch, wir können. Und wir werden.«
    »Um es kurz zu machen: Ich will bleiben. Und wenn es nur ein, zwei Monate sind. Es ist Sommer, Minnie, der Sommer kommt – denk doch an die gute Luft.«
    Sie stieß ein ungläubiges, verächtliches Lachen aus, das eher wie das Bellen eines Hundes als wie eine menschliche Äußerung klang, und dann senkte sie die Stimme und sagte, obwohl es ihr schon wieder die Kehle zudrückte, in einem Ton, aus dem etwas absolut Bestimmtes, etwas Drohendes und Unwiderrufliches sprach: »Wenn du das tust, musst du es allein tun. Ich habe hier nichts mehr verloren. Hast du mich verstanden? Du wirst diesen Mann einstellen, und es ist mir egal, ob wir auf der Straße betteln müssen oder ob jedes Schaf und jeder Hammel auf dieser Insel tot umfällt und verfault. Bring mich bloß von hier weg. Bring mich weg !«

ABREISE
    Will wollte den Kater zurücklassen, doch auch in diesem Punkt ließ sie nicht mit sich reden – in der kurzen Zeit, seit sie ihn bekommen hatte, war er für sie, abgesehen von Edith natürlich, zur wichtigsten Quelle des Trostes geworden –, und als General Meade sich jetzt ins Zeug legte und Jimmie mit den Zügeln kämpfte und der Schaukelstuhl bei jedem Ruck des Schlittens hin- und herschwankte, machte sich Marbles in dem Korb auf ihrem Schoß so breit, bis er schwer und reglos wie ein Stein war. Natürlich fuhr ihr der Wind, der stürmische Wind, ins Gesicht, so dass sie die Augen zusammenkneifen musste, damit kein Staub hineingeweht wurde. Die Straße war trocken, wie Will es vorausgesagt hatte, doch das spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Eigentlich war es eher ärgerlich, denn ihr Kleid war nach kaum hundert Metern mit einer blassgelben Staubschicht überzogen, und das Taschentuch, das sie an ihr Gesicht drückte, war auch bereits durch und durch schmutzig. Und ihre

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