Sanctum
verzeihen kannst«, sagte sie und schluckte, dabei umrundete sie die Bank, auf der er saß, und stellte sich vor ihn, um ihm in die Augen zu sehen. Diese geliebten braunen Augen.
Jean blickte sie an. »Ich hatte einen furchtbaren Albtraum«, erklärte er.
»Hast du überhaupt gehört, was ich sagte?«
Er nickte. »Eines Tages, Gregoria.« Dabei beließ er es, er hatte seine Entscheidung getroffen. »Also, was gab es gestern, während ich weg war?«
»Ich hatte Besuch. Den Panter. Komm, ich zeige es dir.« Gregoria führte ihn ins Arbeitszimmer und reichte ihm das Gevaudan-Blatt mit dem Abdruck der Tatze darauf. »Jedenfalls denke ich es.«
»Er erkundigt sich über seinen Feind«, schätzte er nach eingehender Betrachtung. »Und seine Heimat.«
»Vielleicht sollten wir den Panter suchen und mit ihm zusammen auf die Jagd nach dem Comte gehen«, schlug Gregoria vor. »Danach geben wir ihm von dem Gegenmittel … nein, besser geben wir ihm vorher etwas Sanctum, um ihn zu heilen. Dann ist es für uns gefahrlos.«
Jean verschwieg ihr, dass der Panter ihm das Bündnisangebot bereits gemacht und er es abgelehnt hatte. Auf den Gedanken, den Mann zuerst zu heilen, war er nicht gekommen. »Ich weiß nicht, ob er sich darauf einlässt«, entgegnete er.
»Es ist besser, als sich erneut gegenüberzustehen und wieder einen Seraph zu verlieren«, warf sie ein. »Bitte, lass es dir als eine Möglichkeit durch den Kopf gehen.«
»Ein Bündnis mit einer Bestie?«
»Nein, mit einem von der Krankheit genesenen Menschen«, widersprach sie sofort.
Er gab ihr das Blatt zurück. »Ich weiß, dass die Vergebung eines der edelsten Dinge ist, die von einem Christen erwartet werden, aber ich denke nicht, dass die Seraphim Gnade gewähren. Sie werden Bathsebas Tod nicht ungerächt lassen. Engel können tödlich sein.«
»Ich werde es ihnen verbieten.«
»Du hast es ihnen schon verboten.«
Gregoria schob die Unterlagen zusammen und gab sie an ihn weiter. »Ich weiß. Und ich fürchte, ich muss es noch einmal tun, um sie daran zu erinnern.« Er nahm den Packen entgegen. »Das ist die erste Hälfte, wobei ich mich auf Europa konzentriert habe, weil es für uns derzeit wichtiger ist als die Vorgänge um seltsame Wesen, die auf Inseln in der Südsee hausen.«
Jean mochte ihre Handschrift, sie war rein und leicht zu lesen im Gegensatz zu seiner eigenen. »Ich werde die Seraphim weitere Abschriften anfertigen lassen, damit wir die Beschreibungen in genügender Anzahl im Haus haben.« Er sah, dass sie aufstand und nach dem langen, schweren Kutschermantel aus Leder griff, der neben ihm auf dem Stuhl lag. »Die Waisenhäuser?«
»Ja.« Sie schlüpfte hinein und zog sich einen Hut auf, der ihr Gesicht, wenn sie den Kopf neigte, unkenntlich machte. »Begleite mich doch, Jean, während die Seraphim schreiben.«
»Wohin gehen wir?« Er öffnete für sie die Tür, und sie schritten die Treppe hinab.
»Es wird ein langer Tag. Wir haben verschiedene Treffen mit den Vorstehern der Waisenhäuser«, sagte sie. »Ich beginne heute damit, meine Schwestern endgültig auszuwählen und mit in ihr neues Zuhause zu nehmen. Im ersten Waisenhaus, das wir besuchen, bin ich noch nicht gewesen, ansonsten wird es schnell gehen.«
Er ging zu den Seraphim und übergab ihnen die Blätter mit der Anweisung, die Beschreibungen und Warnungen verkürzt abzuschreiben, damit man sie überall mit hinnehmen konnte. »Ich bin gespannt«, sagte er bei seiner Rückkehr und warf sich einen Mantel über. »Nach welchen Gesichtspunkten wirst du sie auswählen? Und wo werden wir sie unterbringen?«
Gregoria lächelte ihn an. »Sie werden hier wohnen. Es ist Platz genug, und wir sind Tag und Nacht bei ihnen. So finden wir heraus, ob meine Wahl gut oder schlecht war.« Sie sah zum Fenster hinaus, hinter dem eine graue Welt aus feuchtkaltem Nebel auf sie wartete, um sie zu verschlingen. »Lentolo weiß Bescheid, er sendet uns Lehrer, welche die Mädchen unterrichten.« Ihre Hand legte sich auf die Klinke. »Wir ziehen hinaus, Jean, um grobe Steine zu finden und sie zu Diamanten zu schleifen. Ich bin mir sicher, dass Rom genügend davon besitzt.«
Sie rief Sarai zu sich, die zur Sicherheit als Übersetzerin fungieren musste. Gregorias und Jeans Italienisch war noch nicht gut genug.
Zu dritt und unter ihren Mänteln bis an die Zähne bewaffnet suchten sie sich den Weg durch den Nebel, der ihnen nur die Schemen der Hausfronten zeigte und Menschen wie aus dem Nichts auftauchen und
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