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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ebenso rasch ins Grau verschwinden ließ. Jean und Sarai hielten eine Hand stets am Griff ihrer Pistolen. Sie sprachen nicht, sondern legten den Weg zu ihrem ersten Anlaufpunkt schweigend und sehr angespannt zurück.
    Das Missbehagen wich erst von ihnen, als sie durch das Tor in die kleine Halle eines Hauses traten, dessen Ausmaße sie wegen des Nebels draußen nicht genau erkannt hatten.
    Es roch nach Essen und altem Holz, nach Seife und verbranntem Talg; die Kerzen stanken erbärmlich und legten einen Qualmschleier in die Luft. Es war kalt, der Atem wurde zu weißen Dampfwölkchen.
    Nichtsdestotrotz erklangen reine, helle Kinderstimmen im Chor irgendwo aus einem Zimmer, sie wiederholten gemeinsam Sätze, die ihnen eine erwachsene Frau mit tiefer Stimme vorsagte.
    Eine Frau in einem schlichten dunkelblauen Kleid mit mindestens drei Stolen um die Schultern und einer Mütze auf dem Kopf kam die Treppe hinunter und deutete eine Verbeugung an; sofort folgte eine Flut italienischer Worte.
    »Sie sagt«, übersetzte Sarai, »sie heißt Barbara Margutta, dass sie uns willkommen heißt und sehr froh ist, dass wir nach Kindern schauen, die ein besseres Leben führen dürfen. Allerdings sei das mit einer kleinen Gebühr und der schriftlichen Versicherung verbunden, dass die Kinder, wenn sie uns weglaufen und aufgegriffen würden, wieder von uns aufgenommen werden. Ansonsten zahlten wir eine hohe Strafe. Sie habe keine Lust, sich um noch mehr Kinder zu kümmern.«
    Gregoria und Jean wechselten einen schnellen Blick. »Es ist in Ordnung. Sag ihr, dass sie die Kinder herbeiholen soll. Wir möchten uns alle anschauen, von den größten bis zu den kleinsten.«
    Sarai gab ihre Worte weiter, und daraufhin schrie Margutta durch die Flure. Es dauerte nicht lange und die Türen im gesamten Haus öffneten sich. Mädchen und Jungen von vier Jahren bis zu Heranwachsenden strömten wispernd aus den letzten Winkeln des Gebäudes. Nur wenige von ihnen wagten es, laut zu sprechen oder gar zu lachen.
    Jean schluckte. Der Anblick der Kleinen brachte die Erinnerung an Marie zurück, und sie schmerzte noch immer. Am liebsten hätte er die Jüngsten alle mitgenommen, um sie dem tristen Heim zu entreißen.
    Gregoria vermochte seine Gedanken zu lesen, wie sie ihm durch ihre Worte bewies. »Ich weiß. Man möchte sie alle in die Arme schließen und in ein anderes Leben führen«, sagte sie berührt von den mitunter sehr traurigen Kinderaugen. »Aber wir können nur diejenigen mitnehmen, die unserer Aufgabe gewachsen sind.«
    Die Jungen und Mädchen stellten sich der Größe nach auf. Auf manchen Zügen zeigte sich Hoffnung, diese Unterkunft verlassen zu können, andere dagegen fürchteten sich vor den drei Fremden und drückten sich an den Nachbarn zur Rechten oder Linken.
    Gregoria betrachtete ausschließlich die Mädchen, deren Alter sie auf vierzehn Jahre und älter schätzte. Aus dieser Menge kamen sieben in Frage, die sie für Aspirantinnen hielt. »Frag sie«, sprach sie zu Sarai, »warum sie immer noch hier sind. Sie wären alt genug, um ein Handwerk zu erlernen.«
    Zu ihrer Überraschung kam die Antwort von Margutta. »Sie arbeiten für mich. Ich leihe sie aus, für alle möglichen Handlangerdienste. Mit den Einnahmen zahlen sie dem Waisenhaus das zurück, was sie bislang von ihm bekommen haben. Ich führe genau Buch darüber, und wenn sie ihre Schulden getilgt haben, sollen sie machen, wozu auch immer sie Lust haben.«
    »Dann frag sie«, sagte Gregoria weiter, »was sie gern tun. Und wie sie es mit Gott halten.«
    Die Antworten kamen nacheinander, zögerlich und stockend, dabei sahen die Mädchen immer wieder nach Margutta. Offenbar waren sie bemüht, Dinge zu sagen, die Gregoria schmeichelten.
    »Sie beschreiben sich alle als fleißig, sie seien sich für keine harte Arbeit zu schade, wenn es keine Sünde bedeutete«, gab Sarai wieder.
    »So kommen wir nicht weiter«, brummte Jean. »Sie werden das Blaue vom Himmel lügen, um den Fängen der Matrone zu entkommen.«
    Gregoria trat auf das älteste Mädchen zu und suchte seinen Blick. Ihre graubraunen Augen fixierten die hellbraunen ihres Gegenübers und ließen sie nicht mehr los. »Ich frage dich bei allen Heiligen«, begann sie erhaben, und Sarai übersetzte, »glaubst du an Gott und daran, dass deine Seele eines Tages vor ihm stehen wird, auf dass sie gerichtet wird?«
    »Ja«, kam die schüchterne Antwort.
    »Glaubst du, dass deine Seele Gnade finden oder ins Fegefeuer zu den Sündern

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