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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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wandern wird, wo sie brennen muss?«
    Das Mädchen wagte es nicht, die Lider zu senken oder den Augen der Äbtissin auszuweichen. Es starrte in die Pupillen, sah sein eigenes Gesicht darin und spürte eine Kraft von der Unbekannten ausgehen, die es nicht erlaubte zu lügen. »Ich bin eine Sünderin«, raunte es. »Wir alle sind Sünder.«
    Gregoria nickte und machte einen Schritt zur Seite, um die Prozedur zu wiederholen; dabei horchte sie in sich, wenn die Mädchen antworteten, gab weniger etwas auf die Erläuterungen, sondern konzentrierte sich auf die Augen. Die Pupillen zogen sich bei einigen zusammen, andere dagegen schienen ihre Augenfarbe vollkommen gegen das Schwarz einzutauschen.
    Sie konnte nicht genau erklären, wie sich die Lüge überführen ließ, doch stellte sich schnell heraus, wer für die Schwesternschaft in Frage kam und wer nicht.
    Gregoria trat wieder neben Jean, dann hob sie den Arm und deutete auf zwei Mädchen. »Diese beiden«, ließ sie Sarai sagen. »In sie habe ich genug Vertrauen, um sie in mein Haus zu lassen und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.«
    Jean sah sie erstaunt an. Es waren die beiden, die sich zu ihren Sünden bekannt hatten. Margutta grinste widerlich, weil sie zu wissen dachte, zu welchem Zweck Gregoria die Mädchen benötigte.
    Sie bezahlten die verlangte Summe und schickten die Mädchen derweil in den Schlafraum, damit sie ihre Sachen holten. Die kleinen Bündel mit den Habseligkeiten, die sie bei ihrer Rückkehr mit sich trugen und an sich pressten, als befände sich ein Goldschatz darin, hätten selbst bei einem Bettler Mitleid erregt.
    Margutta scheuchte die anderen Jungen und Mädchen zurück in ihre Räume. Schweigend gingen sie davon. Ab und zu drehte sich ein enttäuschtes Gesicht nach ihnen um, ehe es von den anderen Kindern wieder verdeckt wurde.
    Gregoria drückte Jeans Schulter. »Wir können sie nicht alle aufnehmen«, wisperte sie.
    »Ich weiß«, seufzte er schwer. Sie konnte nicht ahnen, dass er an Florence und Pierre gedacht hatte; wie glücklich sie miteinander gewesen waren und welche schönen Enkel er von ihnen bekommen hätte. Jetzt war Pierre tot und Florence verschollen. »Ich weiß.« Er ging als Erster hinaus in den Nebel, sein Gemüt setzte sich lieber dem grauen Nichts aus als dem vielfachen Leid.
    Die vier Frauen folgten ihm bald darauf, und rumpelnd schloss sich die Tür des Waisenhauses hinter ihnen.
    Gregoria wandte sich an die beiden Mädchen. »Von heute an spielt es keine Rolle, was ihr wart und was ihr getan habt«, sagte sie gütig zu ihnen, lächelte sie an und strich ihnen nacheinander über die schmutzigen Wangen. »Ihr beginnt ein neues Leben, das nichts mit dem gemein haben wird, was ihr bislang kanntet. Alles, was ich von euch beiden verlange, ist absolute Treue zu mir und zu Gott. Dient ihm, und eure Sünden werden durch ihn vergeben und vergessen. Mich interessieren sie nicht.« Sarai übersetzte.
    Die Mädchen verneigten sich vor Gregoria und küssten unter Tränen ihren dreckigen Mantelsaum, ehe sie von ihr emporgezogen wurden; sie konnten ihr Glück kaum fassen.
    Zu fünft setzten sie ihren Weg zum nächsten Waisenhaus fort. Das Gebäude, aus dem sie gekommen waren, fiel nach wenigen Schritten im Nebel zurück. Damit verschwand auch die Vergangenheit der ersten beiden Novizinnen des Ordens vom Blute Christi.

    Am Abend kehrten sie mit etwas mehr als einem Dutzend junger Frauen und Mädchen zurück. Die erste Ernte war eingefahren, eine weitere am morgigen Tag würde den Speicher endgültig füllen.
    Gregoria betrachtete die erleichterten Gesichter der Novizinnen, die in der Halle standen und darauf warteten, zu ihren Unterkünften gebracht zu werden. Sie staunten mit offenen Mündern über die Geräumigkeit, die Sauberkeit und das viele Licht in dem Gebäude. Die Seraphim erschienen, teilten sie in vier Gruppen ein und verschwanden mit ihnen in die Zimmer.
    Gregoria sah ihnen nach, legte eine Hand auf ihren Bauch und fühlte sich mehr denn zuvor als Mutter. Und als eine Generalin, die eine heimliche Armee aufstellte, um gegen einen übermächtigen Feind ins Feld zu ziehen.

    19. Dezember 1768, Italien, Rom
    Gregoria schaute aus ihrem Zimmer in den kleinen Hof des Anwesens. Sarai stand dort unten und prüfte die Leibestüchtigkeit der Novizinnen. Wer aus den Übungen als Beste hervorging, kam in Frage, zu den Seraphim zu wechseln.
    Sarai ließ sie rennen und springen, Liegestützen und viele weitere Kräfte zehrende

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