Sanctum
die Nonne schlagen oder umarmen sollte. Also stand er einfach nur vor ihr. »Ich danke Ihnen«, sagte er schließlich.
»Danken Sie dem Herrn, der uns seinen Sohn sandte und damit nicht nur die Sünden von uns nahm, sondern uns ein Mittel gab, das Böse auszutreiben.« Faustitia nahm seinen Dank nicht an, nicht für sich selbst. »Und dann beten Sie, dass der Verstand Ihrer Freundin ungetrübt aus der Prozedur hervorgegangen ist und die Bestie keine irreparablen Schäden angerichtet hat.« Sie führte ihn aus dem Behandlungszimmer, griff im Vorraum nach einem Umschlag und reichte ihn Eric im Weitergehen. »Wir haben einen Teil unserer Abmachung erfüllt. Nun sind Sie an der Reihe. Hierin befinden sich alle Unterlagen zu Padre Rotonda, seine Vorlieben, seine Aufenthaltsorte. Ich wünsche Ihnen den Beistand des Herrn.« Sie nannte ihm eine neue Handynummer, er tippte sie gleich ein und speicherte sie. »Wir sind die Einzigen, auf die Sie in diesem Gefecht zählen können. Halten Sie uns auf dem Laufenden, Herr von Kastell. Und behalten Sie im Kopf, dass Rotonda nicht schlecht ist. Nur verblendet.«
»Ich weiß.« Er nahm den Umschlag. »Gerade das beunruhigt mich.« Eric ließ sie stehen und eilte davon, um Lena noch einmal zu sehen.
Kurz vor dem Fahrstuhl holte er sie ein. Die Schwestern nahmen sofort eine Abwehrposition ein, doch Faustitia, die ihm gefolgt war, bedeutete ihnen, dass keine Gefahr drohte.
Lena lag schwitzend und keuchend im Bett, öffnete die Augen und schaute sich um. Sie sah fiebrig aus, desorientiert und verwirrt. Da blieb ihr unsteter Blick an seinem Gesicht hängen.
»Eric?«
Sie lächelte, ihr Arm bewegte sich, aber die Ketten hielten sie fest. Sofort bekam sie Angst. »Eric!«, rief sie furchtsam. »Was …«
»Es ist gut, Lena«, beruhigte er sie. Ihr Bett wurde in den Lift geschoben. Er wagte es nicht, sie zu berühren, auch wenn es ihr vermutlich gut getan hätte. Er hatte die abstruse Vorstellung, dass er sie wieder mit der Bestie infizieren würde. Mit seiner Bestie. Er ballte die Faust, um seine Finger daran zu hindern, zufällig an sie zu stoßen. »Hab keine Angst. Du bist in Sicherheit.« Hohle Phrasen, die ihr die Besorgnis ganz bestimmt nicht nahmen, doch es gab derzeit nichts, was er tun konnte. »Ich bin bald zurück. Ich verspreche es.«
Die Türen des Lifts schlossen sich.
»Eric!«, hörte er sie dumpf rufen. Ketten rasselten. Ein hydraulisches Geräusch erklang, der Fahrstuhl hatte sich in Bewegung gesetzt.
Eric spürte Tränen in seinen Augenwinkeln. Es wurde Zeit, dass er Rotonda und den letzten Welpen fand. Danach würde es die Bestie nicht mehr geben. Niemals mehr. Er freute sich auf ein Leben ohne die Jagd, ohne den ständigen Tod.
Während er von einer Schwester in die Garage und zum Auto gebracht wurde, fragte er sich, welche Bilder er dann wohl an seiner Staffelei erschaffen würde.
XVIII.
KAPITEL
1. April 1768, Italien, Rom
Jean saß auf der Bank unter den Arkaden des Haupthauses, wo ihn der windgetriebene Nieselregen nicht erreichen konnte. Er betrachtete das steinerne Kreuz mitten im Hof, das die Stelle markierte, an dem Roscolio begraben lag, gestorben an dem Bösen, das er in sich getragen hatte – oder doch am heiligen Blut?
Auch wenn man hätte annehmen können, dass er sich mit dem Panterwesen beschäftigte, seine Gedanken kreisten um Gregoria. Sie hatte sich sehr rasch von ihm und der Schwesternschaft verabschiedet und war nun schon seit mehr als drei Monaten fort. Eine Vision hatte sie an einen geheimen Ort gerufen – die Vision eines kleinen Kindes, das einmal den Orden führen sollte und das sie finden musste. »Das Sanctum sprach zu mir. Es wäre töricht, wenn ich seine Weisung missachtete«, hatte sie ihnen und Lentolo gesagt. »Es ist meine Prüfung, bei der ich keinen Beistand in Anspruch nehmen darf. Habt Vertrauen, bis ich zurück bin.«
Jean zückte sein Schnitzmesser und hob einen Ast vom Boden auf, der von der letzten Holzfuhre stammte. Die Klinge schnitt durch das Holz und gab ihm eine neue Form; kleine Späne regneten auf den Boden. Er dachte nicht nach und ließ Messer und Fingern freien Lauf.
Er vermisste Gregoria furchtbar und hatte oft an den Abend denken müssen, an dem sie ihm gestanden hatte, dass Florence zu den Bestien gehörte. Das Beispiel des unglücklichen Roscolio hatte ihm vor Augen geführt, dass es mehr als nur die wilden Kreaturen gab, die lediglich fürs Töten lebten und andere schreckliche Taten
Weitere Kostenlose Bücher