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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihnen eventuell eingegeben hatte, entzog sich Jeans Kenntnis. Die Novizinnen sprachen darüber nur zu Gregoria.
    Er suchte Sarais Blick. »Denkst du, dass sie alle durchhalten? Oder hast du eine von ihnen im Verdacht, dass sie aus unseren Linien ausscheren könnte?«
    Sarai dachte nach. »Nein, Monsieur. Sie machen einen festen Eindruck, gestärkt durch den Glauben und die Ausbildung von Äbtissin Gregoria. Sie freuen sich auf den Tag, an dem sie in die Welt ziehen, um ihre Mission zu beginnen.«
    »Es sind derzeit … . Ich glaube fast, ich habe den Überblick verloren.«
    »Zweiundfünfzig, Monsieur«, sagte Sarai lächelnd. »Kurz vor der Abreise der Äbtissin wurden sechs weitere Mädchen zu uns gebracht, erinnert Ihr Euch?«
    »Das erklärt, warum mir unser großes Haus in letzter Zeit so klein erscheint.«
    »Noch geht es, Monsieur. Aber in den Schlafsälen stehen die Betten so dicht beieinander, dass wir keine weiteren Novizinnen mehr unterkriegen. Es sei denn, wir ziehen einen weiteres Stockwerk ein.« Sarai schwieg einen Moment, und Jean merkte, dass sie sich darauf vorbereitete, eine für sie wichtige Frage zu stellen. Und tatsächlich: »Monsieur, ich habe eine Frage.«
    »Nur zu.«
    »Haben wir noch genügend Sanctum?«
    Jean hielt mit dem Schnitzen inne. »Wie meinst du das?«
    Sarai lehnte sich nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Wir neun Seraphim haben zwei Rationen für uns. Sollte eine von uns gebissen werden und nicht sterben, bedeutet es nichts Schlimmes. Doch wenn mehr als zwei verwundet werden …« Sie beließ es bei der Andeutung.
    Jean wusste, dass Gregoria den Novizinnen vor ihrer Abreise vom heiligen Blut gegeben hatte, und bei so vielen Mündern war sicherlich nicht mehr viel übrig geblieben. Sarai machte sich zu Recht Sorgen. Ob der Legatus und seine Männer – im Gegensatz zu ihnen – Vorräte hatten?
    »Ich verstehe«, erwiderte er. Unvermittelt hatte er einen Einfall und deutete mit dem Dolch auf den Ausgang. »Und es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen. Leg die Seraphim auf die Lauer, und zwar bei dem Katakombeneingang, den ich euch gezeigt habe. Der Legatus hat diesen Verschlag als Gefängnis benutzt. Wenn sich seine Leute zeigen, hängt ihr euch an sie und findet heraus, wo sie sich noch aufhalten. Danach entscheiden wir, ob wir einen von ihnen entführen und zum Sprechen bringen können.«
    Sarai sprang förmlich auf. »Sofort, Monsieur«, rief sie, erleichtert, dass es etwas zu tun gab, das vom täglichen Üben abwich und eine Herausforderung bedeutete. »Was tun wir mit den Rumänen?«
    »Sie bleiben, wo sie sind. Wir können es nicht wagen, sie in die Freiheit zu entlassen, sie würden zu viel verraten.« Er zwinkerte. »Sie bekommen bald noch einen Mann mehr, wenn wir uns die Freunde des Legatus vornehmen.«
    »Gut, Monsieur.« Sie eilte zum Gemach der Seraphim.
    Jean sah ihr nach, setzte ohne hinzuschauen den Dolch auf das Stöckchen und zog die Klinge nach unten; aber sie wurde von einem Astloch abgelenkt, glitt zur Seite und schnitt durch den Handschuh in das Fleisch des kleinen Fingers.
    Er saß stocksteif und hielt den Atem an. Nicht wegen des unangenehmen Brennens, sondern weil er etwas befürchtete: Gewissheit.
    Doch schon der kaum nennenswerte Schmerz im Finger machte ihn stutzig. Jean sah sein rotes Blut am Dolch haften, er sah es vor seinem inneren Auge kochen und Blasen werfen und qualmend am Silber vergehen …
    Nichts dergleichen geschah.
    Er stieß ein ungläubiges Lachen aus, rieb mit der flachen Seite über das Blut und verteilte es auf der Klinge. Kein Zischen, kein Rauch.
    »Ich bin kein Loup-Garou«, flüsterte er glücklich und schloss die Augen. »Danke, ihr höheren Mächte!« Er lauschte dem Wind, roch die Frühlingsluft und spürte eine Last von sich fallen, die schwerer wog als der Petersdom.
    Der Kratzer an seinem Handgelenk stammte nicht von Antoines Zähnen, wie er angenommen hatte, sondern von einem Dornenbusch oder einem Splitter. War es also nur die erdrückende Angst vor dem Schicksal eines Loup-Garou gewesen, die ihn mit Träumen gefoltert hatte?
    Er hob die Lider und schaute erneut genau auf das Kreuz, unter dem Roscolio ruhte. »Mir bleibt dein Leid erspart«, sagte er leise. Wäre Gregorias Abwesenheit nicht gewesen, hätte sich Jean allen Umständen zum Trotz glücklich gefühlt.

    11. April 1768, Italien, Rom
    Jean hielt eine Blendlaterne in der Linken, lief hinter Sarai her und musste den Oberkörper leicht zur Seite

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