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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Jeans großem Ärger hatte er den Mann mit der Eisenkiste verfehlt und stattdessen genau gegen die Kiste geschossen. Die Kugel war an dem Metall zerplatzt, die winzigen Schrapnelle verletzten die Umstehenden, doch mehr richteten sie nicht aus. Dafür sprang der Träger auf und rannte in den Gang, aus dem sie gekommen waren.
    Jean schwang sich von der Empore hinab, duckte sich unter dem Gegenfeuer der Männer weg und nahm die Verfolgung auf. »Haltet die anderen hier fest«, schrie er Sarai zu und hoffte, dass sie ihn durch das Dröhnen überhaupt hörte.
    Die Wolken aus Pulverdampf gaben ihm Deckung, doch ein Geschoss sirrte knapp an ihm vorbei und schlug ein großes Loch in die Tuffwand. Er erkannte durch den Nebel, dass sich einer der Feinde anschickte, ihm zu folgen und dem Mann mit der Eisenkiste beizustehen.
    Jean lief mit seinen beiden Pistolen in der Hand den Gang entlang und musste nichts anderes tun, als dem Schein der Lampe vor sich zu folgen, deren Licht wild hin und her pendelte. Er näherte sich dem Flüchtenden schnell, der mit seiner schweren Last auf dem Rücken einen großen Nachteil besaß. Offenbar war sie jedoch so wertvoll, dass er sich nicht von ihr trennte.
    Hinter Jean krachte es, die Kugel verfehlte ihn um Haaresbreite, wie er an dem Pfeifen in Höhe seines linken Ohres deutlich vernahm. Fluchend blieb er stehen und stellte sich dem Verfolger, der sich sofort an die Wand presste und die Hand mit der zweiten Pistole hob. Jean duckte sich und zielte ebenfalls.
    In diesem Augenblick verschwand der Schein der Lampe vollends, und ihr Abschnitt des Gangs wurde Opfer totaler Finsternis.
    Beide Männer wussten, dass derjenige, der zuerst schoss, dem anderen seinen genauen Standort verriet. Jean befand sich im Vorteil, weil beide Waffen geladen waren. Er kauerte regungslos in der Hocke und lauschte auf jedes noch so kleine Geräusch, was durch die Echos des Kampflärms aus der Krypta erschwert wurde. Er durfte sich keinen zu langen Aufenthalt erlauben, sonst würde der Mann mit der Eisenkiste doch verschwunden sein.
    Er drückte ab und sah im Schein des Mündungsfeuers für den Bruchteil eines Blinzelns seinen Gegner und lenkte die Kugel der zweiten Pistole auf ihn; der Mann feuerte ebenfalls.
    Wieder hatte Jean Glück, nicht getroffen worden zu sein. Dafür schrie sein Widersacher auf, dann fiel eine Pistole, gleich darauf ein Körper auf den Boden, ein Stöhnen erklang.
    Es genügte Jean zu wissen, dass dieser Gegner ihn nicht mehr verfolgen würde, daher stand er auf und lud seine Pistolen im Dunkeln nach. Er hatte es geübt, wieder und immer wieder. Ein Jäger wie er musste diese Tätigkeit beherrschen, selbst im Schlaf.
    Als er sich sicher war, wieder gewappnet zu sein, tastete er sich durch die Schwärze den Gang entlang und ging schließlich das Wagnis ein, durch die Dunkelheit zu traben und darauf zu vertrauen, dass sich keine Spalten und Absätze vor ihm befanden; seine Pistolen nutzte er wie wehrhafte Fühler.
    Jean wusste nicht, wo er sich befand. Der Kampflärm aus der Krypta war verstummt, er musste sich weit entfernt haben.
    Nach und nach wurde er sich bewusst, in welcher Gefahr er schwebte. Er befand sich in dem schier unendlichen Tunnelsystem, ohne Licht, ohne Vorräte, ohne Wasser. Es könnte leicht damit enden, dass er sich zu den seit Jahrhunderten ruhenden Toten legte und in ihre Gemeinschaft einging; hastig verdrängte er den Gedanken.
    »Chastel, du hier unten?«, hörte er eine bekannte Stimme, die ihm das Blut in den Adern stocken ließ. »Du störst die Ruhe der Verstorbenen. Und meine noch dazu. Aber du bist ohnehin nicht besonders christlich, nicht wahr?«
    Jean blieb stehen, duckte sich und streckte die Hände so, dass die Pistolen in beide Richtungen des Gangs wiesen.
    Der Comte!
    »Das Schöne ist, dass ich dich sehr genau riechen kann, Chastel.« De Morangiès lachte leise. »Du dagegen bist blind wie ein Maulwurf.«
    »Ich soll dir schöne Grüße von Roscolio ausrichten«, grollte er. »Er wird dir die Kehle aufreißen und dein Blut trinken, wie er es mit deinen Kumpanen gemacht hat.«
    »Demnach habt ihr beide euch gegen mich verbündet? Wie nett. Du verstößt damit gegen die Gesetze des Guten, mein Lieber.«
    Ein Steinchen hüpfte über den Boden, aber Jean schoss nicht. Es würde anders klingen, wenn sich der Comte ihm näherte.
    »Diese jungen Frauen, die du um dich geschart hast, Chastel, sind ganz entzückend. Echte Musketenweiber.« De Morangiès’ Stimme

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