Sanctum
mit aller Kraft, die ihm geblieben war. Gewicht und Wucht droschen den Körper des Legatus nach unten, zermalmten die Knochen von Kiefer und Gesicht; es knirschte widerlich. Gleichzeitig hackte der Rest der Scheibe wie ein Messer durch den Hals, der Kopf des Legatus wurde abgetrennt und fiel aus dem Fenster; dumpf erklang der Aufprall im Kies des kleinen Innenhofs.
Diese Wunde würde das Sanctum nicht mehr heilen.
Jean zog zitternd seine zweite Pistole und richtete sie auf den Kardinal, der leichenblass vor der Tür stand. »Bleib, wo du bist«, befahl er auf Italienisch. Er erhob sich, der Geruch von warmem Blut umgab ihn. Er hängte sich das Kistchen mit dem Sanctum auf den Rücken, torkelte auf den Kardinal zu und richtete den rotfeuchten Dolch auf ihn.
»Wo ist Florence?«, fragte er Rotonda und stieß ihm den Dolch durchs Schlüsselbein, die Pistole hatte er auf die Tür gerichtet, hinter der laute Stimmen erklangen.
Rotonda ächzte. »Du wirst für deine Taten sterben, Chastel«, sagte er mit zusammengepressten Zähnen. »Einen ganz besonderen Tod.«
»Sag mir sofort, wo ihr Florence versteckt haltet!«
»Du kannst mich nicht töten, Chastel. Das Sanctum …«
Das Holz der Tür knirschte, im nächsten Moment bekam es in der Mitte einen langen Riss. Damit hatte der Legatus Recht behalten: Seine Männer waren erschienen, wenn auch zu spät, um sein Leben zu retten.
»Du hast gesehen, dass man Menschen mit Sanctum im Blut sehr wohl zu töten vermag.« Er legte die Schneide an den Hals. »Ich schneide dir den Kopf ab, wie wäre das?«
»Die Katakombe von Massimo! Geht in die Basilika, da findet ihr eine Treppe, die nach unten führt«, schnaubte Rotonda.
In diesem Moment zerbrach die Tür und ein Wächter kam ins Zimmer gestürzt. Er sah Francescos Leichnam, schrie entsetzt auf, dann entdeckte er Jean und Rotonda. Als er seine Waffe hob, drückte Jean ab und schoss ihm mitten in den Leib. Er durfte sich keine Gnade erlauben.
Der Kardinal nutzte die Gelegenheit. Er warf sich vorwärts, der Stoff seiner Robe riss, und stolperte über den Toten hinweg zur Tür hinaus.
Jean zog seinen Silberdolch und schleuderte ihn nach dem Mann, die Klinge wirbelte durch die Luft und traf ihn unterhalb des Nackens, dann war er durch den Rahmen und für den Jäger verschwunden; dafür drängten Bewaffnete herein.
Jean sprang durch das zerstörte Fenster und landete nach dem kurzen Sturz im weichen Kies, seine Sicht wurde für einen Wimpernschlag undeutlich. Erste Schüsse peitschten, verfehlten ihn aber und spornten ihn zur Eile an. Gleich zwei Schläge ins Kreuz, begleitet von metallischem Scheppern, warnten ihn davor, länger zu verweilen. Die Männer schossen sich ein, und nur der Kiste verdankte er, dass er keine zwei Kugeln im Leib trug.
Er rannte, so schnell es ihm seine brennenden Muskeln erlaubten, auf die Stelle in der Mauer zu, an der er vorhin schon hatte hinausklettern wollen.
Jetzt umschwirrten ihn die Kugeln wie wütende Insekten. Eine streifte ihn am Oberarm, eine zweite sein Gesäß, aber dennoch schaffte er es, sich über die Mauer zu schwingen, während die Verfolger aus dem Haus gerannt kamen.
Jean hetzte durch den einsetzenden Regen, der seine Blutspur verwischte und seinen Häschern somit kaum eine Gelegenheit gab, ihn im Irrgarten aus Straßen und Gässchen ausfindig zu machen.
Trotz der Schmerzen fühlte er eine unglaubliche Euphorie. Er hatte den Legatus getötet, ungeachtet des Sanctums in dessen Adern! Er konnte hoffen, dass Rotonda an seinen Verletzungen starb – und dass sie Florence finden würden!
Jetzt musste es schnell gehen, bevor die Männer des Kardinals in ihrer Wut Dinge taten, die dem Mädchen noch mehr schadeten als das, was es bisher hatte erdulden müssen.
Der Gedanke, Gregorias glückliches Gesicht zu sehen, wenn er ihr das Mündel zeigte, beflügelte ihn.
12. April 1768, Italien, Rom
Gregoria stand über die Wiege gebeugt und betrachtete ihre kleine Tochter, der sie den Namen Marianna gegeben hatte. Sie schlief selig und hatte kaum etwas von der langen Rückreise bemerkt, die bis zum frühen Morgen gedauert hatte; das Schaukeln der Kutsche schien sie sogar beruhigt zu haben.
»Wie klein du bist«, flüsterte Gregoria liebevoll und strich über die Stirn des Säuglings, der pechschwarze Haare auf dem Köpfchen trug. »Und dennoch wirst du eines Tages den Orden leiten.« Sie meinte, eine gewisse Ähnlichkeit mit Jean in dem kleinen Gesicht zu erkennen; die graubraunen
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