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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Augen hatte Marianna von ihr, daran gab es nichts zu rütteln. Es war gleichzeitig die perfekte Ausrede: Das Sanctum hatte sie zu einem Kind geführt, das die gleichen Augen besaß wie sie.
    Gregoria gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange und schlich aus dem Zimmer, um sich in die Eingangshalle vor den Kamin zu setzen. Sie würde sofort hören, wenn ihre Tochter schrie und nach Milch verlangte. Sie strich das weiße Kleid glatt und nahm Platz. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ein weißes Kleid getragen hatte. Als sie sich durch die blonden Haare fuhr, wurde sie sich einmal mehr bewusst, dass sie gewachsen und richtig lang geworden waren.
    Es war ein schönes Gefühl, wieder Mutter zu sein, der Welt ein neues Leben zurückgegeben zu haben – und dennoch saß tief in ihr die Furcht, dass sie Marianna verlieren könnte, wie es damals mit ihrem ersten Kind geschehen war. Keine Krankheit, kein körperliches Gebrechen, es hatte einfach am Morgen tot in seinem Bettchen gelegen. Gregoria sah immer noch das Blau im zierlichen Gesicht; es war von der Nacht erstickt worden. Sie betete zum Herrn, dass Marianna dieses Schicksal nicht bevorstand, und fühlte eine unbestimmbare Sicherheit, dass ihr nichts geschehen würde. Sie war auserkoren.
    Die Tür flog auf, ein Schwall kühler Frühlingsnachtluft drang in die Eingangshalle. Gregoria fuhr herum – und sah Jean, gestützt von Rebekka und voller Blut! Sie sprang mit einem leisen Schrei auf und rannte zu ihm, half der jungen Frau, den Mann zu halten und ihn die Treppen nach oben in sein Gemach zu bringen.
    »Was ist geschehen?« Ihre Freude über das Wiedersehen nach so langer Zeit wurde durch die Sorge verdrängt. Erst wenn sie gesehen hatte, dass die Wunden nicht schwer waren, würde sie sich beruhigen.
    »Ich habe den Legatus getötet«, erwiderte Jean knapp und konnte trotz der Schmerzen ein Grinsen auf sein Gesicht zaubern. »Und Rotonda ist zumindest verletzt. Mit etwas Glück stirbt er vielleicht.« Er deutete auf die Kiste, die ihm Rebekka abgenommen hatte. »Darin ist ein neuer Vorrat an Sanctum, Gregoria. Ich hatte heute zum ersten Mal das Gefühl, dass Gott auf meiner Seite stand.«
    Sie hatten den ersten Stock erreicht, betraten seine Kammer und legten ihn aufs Bett. »Wo sind die übrigen Seraphim?«, wollte er von der jungen Frau wissen.
    »Sie sind noch nicht zurückgekehrt, Monsieur«, bekam er zur Antwort. »Sie suchen in den Katakomben nach Euch.«
    »Dann lauf und richte Sarai aus, dass sie zurückkommen soll. Ich muss sie sehen. Sofort! Es gibt einen neuen Auftrag.« Jean ließ den Kopf auf das Kissen sinken und schloss die Augen, er atmete tief ein und aus.
    Rebekka lief hinaus und schloss die Tür, während Gregoria ihn langsam aus den blutigen Kleidern schälte. Er hatte einige kleine Wunden davongetragen, hier und da zeigten sich Blutergüsse über den Knochen, aber es war nichts Ernstes. Sie bekreuzigte sich und atmete auf. »Ist er wirklich tot?«
    »Ja. Ich habe ihn mit meinen eigenen Händen umgebracht«, flüsterte Jean schläfrig.
    »Aber das Sanctum? Es ist in seinem Blut und …«
    »… fließt nicht mehr zu seinem teuflischen Hirn, seit ich ihm den Kopf abgeschlagen habe. Gott stand mir bei, Gregoria, und ließ mich entkommen. Das hätte ich niemals für möglich gehalten.« Er blickte sie an und nahm ihre Hand. »Ich bin so glücklich, dich zu sehen.«
    Gregoria schaute in sein Gesicht, in seine warmen, geliebten Augen und handelte, ohne nachzudenken. Sie beugte sich nach vorne, küsste ihn sanft auf den Mund und schloss dabei, wie er auch, die Augen, damit sie ihre Sünde nicht sehen konnte. Ein warmes Gefühl schoss ihr durch den Magen, ihr Herz tat vor Freude einige zusätzliche Schläge. Bevor diese Freude in Leidenschaft umschlagen konnte und sie zu Dingen anstiftete, für die sie sich später heftigste Vorwürfe machen müsste, zog sie sich zurück. Ihre Lippen lösten sich. Was blieb, war die tiefe Verbundenheit, die sie soeben einmal mehr mit einem Kuss besiegelt hatten. Sie spürte, dass er ihr alles vergeben hatte, den Tod Antoines, die Lügen über Florence.
    »Gregoria«, flüsterte er heiser.
    »Ja, Jean. Ich bin hier. Ich werde immer hier sein.« Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an, berauscht von dem Gefühl der Nähe. Dann räusperte sich Gregoria und setzte sich wieder aufrecht neben ihn, so, als wäre nichts geschehen, was nicht jede Seraph oder Schwester hätte ansehen dürfen. »Erzähl,

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