Sanctum
Hände in die Höhe; gleich darauf war er verschwunden, stattdessen erschien ein zweiter Mann, den Jean sehr gut kannte. Und hasste.
»Der Legatus!«
Jean stieg von der Muskete und hängte sie sich um, die eigene nahm er in die Hand. Die Vorsehung hatte ihn hierher geführt, und diese Gelegenheit musste genutzt werden.
Jean erklomm vorsichtig die Fassade, die durch die zahlreichen Simse und Vorsprünge einfach zu bewältigen war. Seine starken Finger fanden Halt, auch wenn es ihn sehr viel Kraft kostete. Er erreichte den ersten Stock und das spaltbreit geöffnete Fenster, vor dem der Kardinal stand. Er schwitzte, sein Herz raste vor Aufregung. Wie gut, dass er Italienisch gelernt hatte.
Jean presste sich an die Wand und sah einen Ausschnitt des üppig eingerichteten Raumes. Vasen mit frischen Blumen, schwere Vorhänge, Kristalllüster, Landschaftsbilder, bestickte Stoffbahnen, welche die Wände verkleideten.
Der Mann im scharlachroten Kardinalsgewand klang höchst erbost. »Ich habe keine Geduld mehr!« Er umkreiste Francesco, der sich die Tirade anhörte und keine Gelegenheit zu einer Erwiderung erhielt. »Es trägt sich in Rom zu vieles mit dem Teufel zu! Aber ich kenne den Namen des Dämons, der dem Heiligen Vater einflüstert und ihn einlullt! Ein Beelzebub im Amt eines Kardinals, und der Herr tut nichts dagegen.« Er schnaufte und trat mit Wucht gegen den Schreibtisch. »Was ist mit diesen verdammten Heiden, die den Werwolf anbeten? Habt Ihr sie endlich ausgeschaltet?«
»Ich bin mir sicher, dass es keine weiteren mehr von ihnen gibt, Eminenz«, versuchte Francesco ihn zu beruhigen. »Sie starben alle in diesem stinkenden Hinterhof.«
Jean begriff, wen er hier vor sich hatte: Kardinal Rotonda, den Auftraggeber Francescos und Verursacher all des Übels!
»Aber diese Äbtissin und ihr Franzose sind noch da. Weswegen? Sie pfuschen uns nicht ohne Grund ins Handwerk, und ich würde wetten, dass mein besonderer Freund dahintersteckt. Und ganz nebenbei läuft der Comte immer noch durch die Straßen und zerfetzt einen Römer nach dem anderen.« Rotonda blieb stehen und senkte drohend den Kopf, die hellgrünen Augen strahlten. »Unternehmt etwas, Legatus, oder Ihr seid bald in einer Lage, die Euch nicht gefallen wird! Ihr verspielt alles, was Ihr Euch erarbeitet habt.«
»Alles ist arrangiert, Eminenz.« Francesco neigte das blonde Haupt. »Wir sind die Äbtissin bald los und haben die Bestie …«
»Das erzählt Ihr mir schon seit mehr als einem Jahr, Legatus! Ihr hattet sie verbrennen sollen und ich verließ mich auf Euer Wort. Und was dann? Dann steht sie vor mir. Vor mir! Auf dem Petersplatz! Ich dachte, mich träfe der Schlag«, rief Rotonda wütend und packte den Briefbeschwerer, der auf seinem Schreibtisch lag. »Genug, ehe ich Dinge sage, für die ich zur Buße bis an mein Lebensende beten muss. Ich bin hierher gekommen, um von Euch etwas Neues zu erfahren. Ich habe mein Haus nicht nachts verlassen, um mir das gleiche Geschwätz anzuhören wie sonst.« Er hob das Buch zum Wurf. »Sprecht, Legatus, und ich bete, dass es etwas ist, das mein Herz und meine Seele erfreut!«
Francesco wählte seine Worte mit Bedacht. »Eminenz, wir wissen, weswegen die Bestie hier ist«, begann er sanft. »Wegen der Frau.«
»Und was bringt uns das?«
»Einen Geruch, den er unwiderstehlich finden wird.« Francesco verbeugte sich wieder. »Ich habe das Nonnenmündel einige Tage lang durch einen Teil der Katakomben hetzen und ihren Schweiß immer wieder mit Tüchern abreiben lassen. Diese werde ich in vier gepanzerten Karren durch die Stadt fahren lassen. Schwer bewacht natürlich und mit meinen besten Männern versehen, Eminenz. Es ist eine Frage der Zeit, wann der Comte den Geruch aufnehmen und zuschlagen wird. Dann haben wir ihn.«
Rotonda legte den Briefbeschwerer sanft zurück auf den Tisch. »Endlich höre ich einen vernünftigen Vorschlag, Legatus.« Er lächelte. »Sehr gut, sehr gut. Dieses war der erste Streich, nicht wahr?« Er betrachtete ihn neugierig. »Mit welchem Streich werden wir wohl die Äbtissin und ihren Liebhaber los?«
»Sobald wir den Comte haben, greift das nächste Rädchen, Eminenz. Ich habe …« Ausgerechnet jetzt wich das Glück von Jeans Seite. Francescos Blick fiel auf das spaltbreit geöffnete Fenster, und er verstummte.
Jean wusste, dass es Zeit war zu handeln. Er sprang in den Raum und legte die Muskete an. »Keiner rührt sich«, befahl er auf Französisch. Vor Aufregung zitterte
Weitere Kostenlose Bücher