Sanctum
Vaterschaft vorzuenthalten, auch wenn sie vorhin beinahe bereit gewesen wäre, ihm seine Rolle zu enthüllen. Es wäre nicht gut und würde seine Sorge zusätzlich steigern.
»Aber eines Tages«, versprach sie Marianna, setzte sich auf ihr Bett und beobachtete durch die Vorhänge, wie sich der verheißungsvolle Schein der Morgensonne über dem Himmel ausbreitete und die Sterne zum Verblassen brachte. »Ganz sicher.«
Sie fanden die Via Simeto – jene Stelle, die der Kardinal Jean genannt hatte – auf Anhieb. Der Eingang zur Katakombe von Massimo befand sich in einer Basilika, die der heiligen Felicitas geweiht war.
Allerdings sahen sie sofort, dass sie nicht die Ersten waren. Vor dem Eingang stand ein verlassener gepanzerter Wagen, wie ihn die Männer des Legatus mit ins Gevaudan gebracht hatten, um Florence zu verladen. Die Pferde schnaubten und warteten geduldig, dass der Kutscher zurückkehrte. Jean kannte die Bestimmung des Karrens: eine rollende Wolfsfalle.
Im Licht des Morgens sahen sie die geöffneten Türen der Basilika, in deren Holz sich tiefe Kratzer zeigten. Kratzer, die von der Anordnung her durchaus zu einer Bestienklaue passten.
Jean nahm eine seiner Pistolen und eilte zum Wagen. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass er leer war. »Scheint, als sei uns der Comte zuvorgekommen!« Er hastete die Stufen hinauf, die Seraphim folgten ihm; Debora und Rebekka trugen ein mit Eisendraht verstärktes Fangnetz.
Im Innenraum lagen die verstümmelten Leichen von zwei Männern, ihre Waffen ruhten abgefeuert neben ihnen; das Blut war noch nicht geronnen, und Pulverdampf schwebte in der Luft.
»Gebt Obacht. Tötet die Bestie nicht, wenn ihr sie seht«, befahl er flüsternd. »Es könnte sein, dass es sich um Florence handelt.« Er gab das Signal, das Netz zu ihm zu bringen.
Die jungen Frauen nickten. Dass sie die Order in höchste Lebensgefahr brachte, störte sie nicht. Zur Verteidigung führten sie dieses Mal Silberschlagstöcke mit sich, die eine nach der anderen nun aus der Halterung auf dem Rücken nahm. Es würde sich zeigen, wie die Bestie darauf reagierte. Da sie in Katakomben stiegen, hatten sie auf die Musketen verzichtet und benutzten stattdessen doppelläufige Pistolen, unter deren Lauf geschwungene Silberschneiden angebracht worden waren. Im Nahkampf konnten sie wie Beile eingesetzt werden.
In einer lang gezogenen Linie rückten Jean und die Seraphim in die Basilika vor, bis sie auf die Treppe stießen, die hinab in die Katakombe führte. Sie starrten in ein schwarzes, lichtloses Loch.
Sie entzündeten ihre mitgebrachten Lampen, dann stieg Jean als Erster hinab.
Es ging viele Stufen nach unten. Schweigend legten sie die Strecke zurück, bis sie in einer unterirdischen Basilika standen. Die Wände waren mit Darstellungen der heiligen Felicitas und ihrer sieben Söhne verziert worden, eine andere Abbildung zeigte Jesus Christus.
Jean entdeckte einen Durchgang. »Da drüben geht es weiter.« Er bog in den sehr schmalen und erst vor kurzem angelegten Gang ab. Man sah es den Felskanten an, dass sie nicht zu den Jahrhunderte alten Grabkammern der Frühchristen und Heiden Roms gehörten, sie waren noch spitz, scharfkantig, nicht abgeschliffen.
Nach seinem nächsten Schritt klickte es unter seinem Fuß. »Zurück!«, schrie er und sprang nach hinten. Die Lampe schlug gegen einen Vorsprung, das Glas zersprang, und die Flamme erlosch.
Er spürte den Luftzug vor seiner Nase, ein Gegenstand verfehlte zischend sein Gesicht und prallte gegen die Felswand, Steinsplitter platzten ab und prasselten gegen Wangen und Lippen. »Licht!«
Sarai reichte ihm ihre Lampe, mit der er den Boden absuchte. Er fand einen fingerlangen Eisenstift und hob ihn auf. Seitlich in der Wand entdeckte er das Loch, aus dem das heimtückische Geschoss abgefeuert worden war.
»Der Weg ist mit Fallen gesichert«, warnte er die jungen Frauen. »Passt genau auf, was ihr berührt und wohin ihr tretet. Es könnte unser aller Leben kosten.« Vorsichtig bewegte er sich weiter den schmalen Gang entlang.
Jean fand dank seiner Umsicht und Sorgfalt zwei weitere Auslöser, außerdem vier blutige Eisenspitzen, die sich jemand aus dem Körper gezogen und weggeworfen hatte.
Vor einer Biegung sah er eine verschmutzte, blutige Hand am Boden in den Gang ragen. »Achtung«, raunte er, zog seinen Schlagstock und ging langsam weiter, bis er um die Ecke spähen konnte.
Jean schluckte. In diesem knapp sieben Schritt langen Abschnitt, der zu einer
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