Sanctum
Laufen sog er den Duft des Mannes ein, merkte sich jede Nuance seines Deos, seines Schweißes, seiner Haut. Eric hatte angenommen, irgendeine Besonderheit wahrnehmen zu können, die vom Sanctum herrührte, aber es fiel ihm nichts auf. Das enttäuschte ihn sogar etwas.
Als er sich sicher war, dass er die Spur nicht mehr verlieren konnte, verlangsamte er sein Tempo und ließ dem Geistlichen lange Leine. Er sollte denken, dass er Eric abgeschüttelt hatte.
Er zog sich die Sturmhaube vom Kopf, als er die U-Bahn-Station Colosseo verließ, nahm das G3 unter den Mantel und bewegte sich vollkommen normal und unauffällig; das Loch in seinem Mantel würde einem Passanten erst nach genauerer Betrachtung auffallen, und Blut sah man auf schwarzem Untergrund kaum.
Rotonda befand sich vor ihm, nicht sichtbar, doch deutlich riechbar. Er lief sehr schnell, der Schweißgeruch wurde stärker und durchdringender, was Eric die Verfolgung erleichterte. Allerdings bemerkte er keinerlei Anzeichen von Angst. Verließ sich der Padre so sehr auf den Schutz des Sanctums?
Es ging wieder zurück über den Fluss. Nach und nach erkannte Eric die Umgebung. Sie bewegten sich auf den Vatikan zu, nur von einer anderen Seite als vom Petersplatz aus.
Es ging über Treppen und kleinere Plätze, gelegentlich sah Eric Rotonda auch. Der Padre hatte seine Geschwindigkeit verringert, anscheinend glaubte er sich wirklich sicher. Er bog in die Via Ombrellari und schlenderte nun fast durch das große Tor eines schlichten alten Gebäudes.
Eric ging an dem Eingang vorbei und suchte nach einem anderen Zugang. Und plötzlich begriff er, weswegen Rotonda nicht einmal einen Hauch von Angst verströmte. Es konnte nur eine Erklärung geben: Die Verfolgung in der Bahn, die Rennerei, die Zuflucht in diesem Palazzo, all das diente nur einem Zweck: ihn hierher zu locken!
Rotonda stellte ihm eine Falle.
Aber Eric sah nicht ein, sich auf dieses Spiel einzulassen. Zwar musste er die Falle betreten, um an den Köder zu kommen – aber er bestimmte, wie er in den Käfig gelangte.
Eric wanderte um den kleinen Palazzo, der mit seinen Simsen und vorstehenden Figuren hervorragende Klettermöglichkeiten bot. Im Schutz eines Kleintransporters machte er sich ans Erklimmen, nutzte die Statuen als Sichtschutz von unten aus und erreichte schnell das dritte Stockwerk. Er schlug eine Scheibe ein, hinter der kein Licht brannte, öffnete das Fenster und stieg ein.
In diesem Bereich des Palazzos war es ruhig. Eric verließ den Raum, der voller Bücherregale stand, und begegnete auf den Fluren keiner Menschenseele. Das machte es ihm leicht, Rotondas Geruch zu finden, der ihn tiefer und tiefer in das Gebäude führte. Vereinzelt standen Malergerüste herum, eine Restaurierung war in vollem Gange.
Vor einer Tür in einem sehr breiten, aber abgeschiedenen Korridor endete Rotondas Duftspur. Überall befand sich Marmor, an den Wänden hingen Heiligenbilder und Zeichnungen mit religiösen Szenen. Die Decke war mit Stuck und Marmor gekrönt.
Eric lauschte an dem dicken Holz, hörte aber nichts. Die Tür war gut isoliert. Somit blieb nur eine Möglichkeit herauszufinden, was auf der anderen Seite ablief. Er hob das G3, nahm drei Schritte Anlauf und warf sich mit Wucht gegen den Eingang.
Das Schloss gab nach, Eric stürzte in das Innere, fiel auf den Boden, riss das Gewehr hoch und zielte im Liegen auf die beiden Männer. Einer saß hinter dem Schreibtisch und war in ein Kardinalsgewand gekleidet, der andere, Rotonda, stand davor, hatte die Hände auf die Arbeitsplatte gelegt und den Mund geöffnet. Die Unterhaltung zwischen ihnen war abrupt beendet worden.
»Halt! Keiner rührt sich«, befahl Eric, erhob sich langsam und drückte die Tür mit dem Fuß zu. »Wir haben zu reden.« Er zeigte mit der Mündung auf Rotonda, dann auf den Sessel vor dem Tisch. Der Padre setzte sich.
»Wo ist der Welpe?«
»Das ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe, Claudio«, sagte Rotonda gelassen. »Er hat sich mit der Schwesternschaft verbündet.«
Kardinal Zanettini musterte Eric vollkommen furchtlos, als habe er kein Sturmgewehr, sondern einen Strauß Blumen und Hostien in der Hand. Eric erkannte ihn sofort. Er wirkte mehr wie der Bruder als der Cousin, die Ähnlichkeiten waren verblüffend, von den Augen über die Züge bis zu den dünnen schwarzen Haaren.
»Interessant. Sollte er dir nicht durch die Eingangstür folgen?«
»Was zählt, ist, dass er in die Falle ging.« Rotonda deutete auf die
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