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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Orgel.
    Eric kannte das Stück. Johann, sein Vater, hatte es gern gemocht und gelegentlich gehört. Es weckte schöne Erinnerungen.
    Gespielt wurde das Instrument von keinem Geringeren als Padre Rotonda selbst, der, dem Aushang an der Kirche zufolge, ausgerechnet heute in die Tasten griff, um die Seelen seiner Schäfchen zu erquicken. Und er spielte gut. Eric fand es unfassbar, dass ein diabolischer Mann wie Rotonda in der Lage war, so schöne Musik zum Besten zu geben. Im Gegensatz zu Faustitia betrachtete er den Mann als verdorben und nicht als verblendet. Böse Menschen hatten zwar keine Lieder, wie der Volksmund berichtete, aber offenkundig beherrschten sie Instrumente.
    Eric trank einen Tee nach dem anderen. Der viele Kaffee tat seinem Magen nicht gut, außerdem hatte er starke Entzugserscheinungen, die vom Koffein noch schlimmer geworden waren. Die Dosis seiner Werwolf-K.-o.-Tropfen, die er im Handschuhfach des Porsches versteckt und sich in den letzten Nächten gegönnt hatte, war ein wenig zu hoch gewesen. Entgegen seiner Gewohnheit verzichtete er auf seinen üblichen Einsatzdress, sondern hatte sich unauffällige Kleider und einen weiten schwarzen Ledermantel angezogen, unter dem sich viel verbergen ließ.
    Um seine Unruhe in den Griff zu bekommen, nahm er das neue Fläschchen aus seiner Tasche und gönnte seinem lechzenden Körper einen Tropfen Gamma-Hydroxybuttersäure. Zwar schrie alles in ihm nach mehr, aber er durfte dem Verlangen nicht nachgeben.
    Endlich öffneten sich die Türen der Kirche und die Gläubigen strömten heraus. Padre Rotonda stand an der Tür und gab jedem persönlich die Hand, lachte und scherzte. Die Menschen hingen an seinen Lippen. Er war eine einnehmende Persönlichkeit.
    »Wenn ihr wüsstet, was er mit euch vorhat«, murmelte Eric, legte einen Zwanziger auf den Tisch und erhob sich. Seine Mission begann.
    Laut Faustitias Aufzeichnungen versäumte es Rotonda niemals, die Andacht und das monatliche Orgelspiel abzuhalten. Danach ging er zusammen mit zwei Priesterfreunden immer in das Gasthaus Piccola, um einen Wein zu trinken und mit dem einen oder anderen Schäfchen in der Gemeinde zu sprechen; gegen 2.00 Uhr kehrte er nach Hause zurück. Allein.
    Genau dann wollte Eric zuschlagen. Zeugen würde es keine geben, wenn er den Padre verhörte.
    Er fragte sich, wie gefährlich Rotonda durch die Überdosis Sanctum in seinen Adern war. Bedachte man den Ursprung des Sanctums, war es verlockend anzunehmen, dass Erics Mission einfach wurde. Der Sohn Gottes war weder durch Martial-Arts-Einlagen noch durch besondere Treffsicherheit mit der Schleuder bekannt geworden. Die Figuren aus dem Alten Testament waren ihm da um Längen überlegen, oder das Neue Testament hatte die brutaleren Jesus-Episoden aus Propagandagründen verschwiegen.
    Eric dachte nach. Jesus hatte die Händler aus dem Tempel geworfen, aber ansonsten galt für ihn das Rechte-Wange-linke-Wange-Prinzip. Kurzsichtig gedacht könnte man fragen, wie kriegerisch demnach ein Padre sein konnte, in dessen Adern das Blut eines der friedfertigsten Männer der Geschichte floss …
    Eric würde nicht den Fehler begehen, leichtsinnig zu werden. Jesus hatte seine Kräfte eingesetzt, den Menschen Gutes zu tun. Aus der Speisung der Zehntausend hätte er wahrscheinlich auch die Vernichtung der Zehntausend machen können, ein Wunder konnte so oder so ausfallen. Und sein Vater hatte schließlich oft genug gezeigt, zu was er in der Lage war: Die alten Ägypter konnten ein Lied davon singen.
    Eric verließ das Gebäude und musste sich sofort gegen den starken Wind stemmen, der kalten Regen schräg durch die Straßen, gegen die Dächer und Hauswände trieb. Schnee wäre Eric lieber gewesen, davon wurde man wenigstens nicht so nass.
    Als würde Rotonda ahnen, dass er verfolgt wurde, schien er an diesem Abend vorzuhaben, alle seine Gewohnheiten über den Haufen zu werfen. Erstens marschierte er durch die engen Gässchen von Trastevere schnurstracks nach Hause, zweitens verzichtete er dabei nicht auf die beiden Begleiter, und drittens kehrte er nach drei Minuten und zwanzig Sekunden auf die Via di Scala zurück. Da stimmte etwas nicht.
    Rotonda eilte zurück zur Straße, die vor der Kirche entlanglief, hielt ein Taxi an, öffnete die Tür und stieg ein. In diesem Moment merkte Eric: Der Mann, der sich eben auf den Rücksitz warf, war trotz Soutane und Seitenscheitel nicht Rotonda. Er roch nach einem ganz anderen Aftershave und trug zudem Schuhe, an denen

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