Sanctum
hat sich enorm entwickelt, und das nicht erst, seit sie von dem Sanctum kostete. Während ich ins Gevaudan reise, wird sie die Seraphim führen und die neuen Anwärterinnen weiter ausbilden. Ich traue ihr diese große Aufgabe ohne weiteres zu.«
»Meine Novizinnen würden sie sicher als Magister anerkennen«, räumte sie ein und stützte seufzend ihren Kopf auf die Hand. »Du hast Recht, Jean. Ich muss ein wenig kürzer treten … Aber das gilt nicht nur für mich. Nimm eine Seraph mit auf deine Mission.«
»Vielleicht hast du Recht. Ich werde Hilfe brauchen können – ganz egal, ob ich im Gevaudan nur nach Florence und dem Kind suche, um sie zu heilen, oder mich dort auch dem Comte stellen muss.«
»Du glaubst also, dass er dorthin unterwegs ist?«
»Der Comte ist eine Bestie – aber ganz sicher nicht dumm«, gab Jean zu bedenken. »Er könnte inzwischen herausgefunden haben, dass Roscolio tot ist. Und vielleicht weiß er auch, was wirklich mit Florence und ihrem Kind geschah.« Er stand auf. »Ich werde noch ein paar Reisevorbereitungen treffen.« Er deutete auf seine Stiefel. »Sie brauchen dringend neue Sohlen, wenn ich nicht jedes Steinchen durch das dünne Leder spüren möchte.« Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer.
Während er die Treppe nach unten ging, dachte er über die Aufgaben nach, die vor ihm lagen. Eine davon hatte er Gregoria absichtlich verschwiegen. Er musste herausfinden, wie viel Wahrheit in den Worten des Comtes über dessen Vater steckte. Wenn auch der Marquis de Saint-Alban eine Bestie war, müsste er einen der angesehensten französischen Adligen erschießen, einen Kriegshelden und Freund des Königs. Dafür wurde er mit Sicherheit nicht gefeiert. Eher hingerichtet.
Nach kurzem Marsch betrat er die Werkstatt eines Schusters, zog die Stiefel aus und legte sie auf den Tresen. »Neue, bitte.« Er deutete auf die Sohlen und packte Münzen daneben. »Und zwar auf der Stelle. Ich zahle das Doppelte.«
Der Schuster machte sich sofort an die Arbeit. Jean setzte sich auf einen niedrigen Schemel und schaute durch das Fenster nach draußen.
Menschen, Reiter und Kutschen eilten vorbei, die Rufe von Händlern schallten herein. Rom bereitete sich auf den Sommer vor, kribbelte und geriet in Bewegung wie ein Ameisenhaufen in der Sonne. Die Menschen sehnten sich nach dem für ihre Verhältnisse harten Winter nach der Hitze – auch wenn sie in spätestens einem Monat genauso über sie klagen würden wie vorher über die Kälte.
Jean freute sich angesichts des hektischen Treibens umso mehr auf die Rückkehr ins Gevaudan, auch wenn sie mit vielerlei Schwierigkeiten verbunden war. Aber immerhin gab es dort kein Häusermeer, das die Sicht zum Horizont verbaute, sondern Weite und Stille. Die Wiesen und Moore sollten jetzt bereits in erster Blüte stehen; für einen Moment sah Jean den bunten Teppich vor sich, der sich von den granitgrauen Hängen der Drei Berge bis hinab in die grünenden Senken zog.
Was konnte ihm Rom dagegen bieten? Er hob den Kopf und schaute zur flatternden Wäsche, die allgegenwärtig über den Gassen zum Trocknen hing. Dabei bemerkte er, dass der Mond noch unscheinbar und blass am Himmel stand und auf die Nacht wartete. Prall und rund lauerte er, um später in der Dunkelheit wie eine runde Scheibe zu leuchten und die Wölfe zum Heulen zu bringen …
Plötzlich überfiel Jean ein sehr ungutes Gefühl. War seine Rückkehr in die Heimat doch kein guter Einfall?
Gregoria schreckte aus dem Schlaf hoch und sah sofort zur Wiege. Es war noch mitten in der Nacht, aber dennoch beinahe so hell wie am Tage. Der Schuldige stand groß und übermächtig am Firmament, sandte seine silbrigen Strahlen zur Erde nieder, überstrahlte die Sterne … und weckte das Böse.
Gregoria rutschte von ihrer Matratze und sah nach Marianna, die friedlich in ihrer Wiege auf dem Bauch lag und ruhig atmete. Der Anblick dämpfte die Ängste der Äbtissin. Dennoch trat sie ans Fenster und betrachtete den verlassenen Hof.
Es war alles ruhig. Die Novizinnen lagen in ihren Betten, zwei Seraphim hielten Wache und patrouillierten durch die Gänge, um die Schwesternschaft vor unliebsamen Besuchern zu schützen. Dennoch konnte Gregoria die Anspannung nicht abschütteln. Etwas stimmte nicht …
Bilder stiegen aus ihrer Erinnerung empor, Bilder jener Nacht, als das Kloster Saint-Grégoire in Flammen aufgegangen und alle Schwestern gestorben waren, weil der Legatus ausführte, was
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