Sanctum
den Oberkörper nach vorn gebeugt, die blutige Schnauze mit dem schaumigen, rötlichen Geifer halb geöffnet, die Klauen angehoben. Ein dunkles Grollen ertönte.
»Florence, bist du es?«, fragte Gregoria und trat neben Jean. »Florence! Hörst du mich?«
Die Ohren der Bestie stellten sich auf, das grelle Rot in den Augen flackerte … und erlosch!
»Bei Gott, sie ist es«, raunte Gregoria ihm zu. »Schieß nicht auf sie, egal was geschieht.« Sie drückte ihm Marianna in den Arm und ging an ihm vorbei.
»Gregoria«, zischte er erschrocken. Sofort knurrte die Bestie, die Ohren klappten nach hinten und das Feuer kehrte in die Augen zurück.
»Sie wird mir nichts tun, Jean. Ich vertraue auf den Beistand Gottes.«
Gregoria ging langsam auf die Bestie zu, die einen Fuß zurücksetzte, lautstark schnupperte und aufgeregt mit dem Schweif peitschte. »Florence, ich bin es. Gregoria«, sprach sie mit ruhiger und freundlicher Stimme. »Ich sehe, dass du mich erkennst. Kämpfe gegen die Bestie, zwing sie zurück und zeig dich mir in deiner Gestalt als Mensch. Du bist in Sicherheit, Florence, du bist mein Mündel, erinnere dich. Erinnere dich an die Tage im Kloster.«
Sie war nur noch einen Schritt von der Bestie entfernt und nahm den Geruch wahr, den sie verströmte. Es stank nach Tier und nach frischem Blut, das überall an ihrem Fell haftete. Gregoria wollte nicht daran denken, dass es auch Blut ihrer Novizinnen und der Seraphim war. Sie schluckte und streckte die Hand aus. »Dich trifft keine Schuld, Florence. Stemme dich gegen das Böse und verwandele dich. Nimm meine Hand und spüre mich, Florence.«
Die Bestie senkte den Kopf und roch vorsichtig an den langen, schlanken Fingern. Anscheinend erkannte sie den Geruch, die Augen nahmen wieder ihre normale Farbe an. Ein leichtes Zittern schien den gefährlichen Körper zu durchlaufen.
Jean hielt den Atem an und wiegte die leise wimmernde Marianna behutsam. Schnappte die Bestie zu, wäre Gregorias Unterarm beinahe so sauber wie von einem scharfen Schwert abgetrennt. Kein Sanctum der Welt würde diese klaffende Wunde schnell genug verschließen.
Gregoria lächelte und versuchte, die Schnauze zu berühren!
»Werde zu dem Menschen, den ich großgezogen habe, Florence«, bat sie beschwörend. »Vertreibe die Bestie aus dir, damit wir dich heilen können.« Sie strich über das kurze Fell hinter der ledrigen Nase – und die Bestie ließ sie gewähren!
Gregoria sah, wie sich die angespannten Muskeln des Wesens lockerten und es ruhiger wurde. Sie sah tief in die Augen des Wesens vor sich, erkannte Verwirrung und Unsicherheit und noch etwas anderes … ein Wiedererkennen. Hoffnung. Die Zeit um sie herum schien langsamer zu vergehen und schließlich ganz stillzustehen. Die Eingangshalle schien in eine andere Welt gerückt zu sein, es gab keine Schüsse mehr und keine Schreie. Es gab nur noch Gregoria und die unglückliche Kreatur vor ihr.
Jean konnte die Augen nicht abwenden, obwohl er den Anblick kaum aushielt.
Gregoria nahm die Bestie in die Arme und drückte sie an sich, die scharfen Zähne befanden sich unmittelbar an ihrer Kehle. Der größte Vertrauensbeweis, den es geben konnte. Gregoria rang die Übelkeit nieder und freute sich, dass gelang, was in all den Jahren im Kloster nicht ein einziges Mal geschehen war: Die Bestie erkannte sie! »Gelobt sei der Herr«, sagte sie leise und drückte die Kreatur an sich, die sogar zu schnurren begann. Wieder durchlief ein sanftes Zittern den Körper. Mit einem leisen Rascheln begann der dichte Pelz, dünner zu werden und …
In diesem Moment schrie Marianna los.
Es passierte so schnell, dass Gregoria keinerlei Gelegenheit bekam, das Unvermeidliche zu verhindern. Sie spürte, wie der Körper der Bestie aus der Ruhe erwachte und alle Muskeln ruckartig anschwollen. Die Sehnen spannten sich unter dem aufgestellten Fell wie dicke Seile.
»Florence, nein!« Doch die Bestie riss ihr nicht die Kehle auf, sie stieß Gregoria einfach zur Seite und stürzte sich brüllend auf das schreiende Kind!
Jean hatte das Unheil vorausgesehen. Er ließ sich nach hinten fallen und hob die Muskete wie vorhin, um die tödlichen Kiefer zu blockieren. Der neuen, unbändigen Wut der Bestie hielt die Waffe nicht lange stand. Krachend zerbrach sie, Marianna schrie auf – und die Zähne schlossen sich um Jeans Unterarm.
»Nein!«
Jeans freie Hand schloss sich um den abgetrennten Kolben der Muskete und drosch wie wahnsinnig auf die rot glühenden
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