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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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seinem Zimmer befand sich ein Ölgemälde, auf dem ein Mann mit einer doppelläufigen Muskete zu sehen war. Er hatte einen Fuß auf den Leib eines riesigen Wolfes gestellt, rund um ihn herum standen zahlreiche Adlige. Die Bildunterschrift lautete: Le bon chasseur, Monsieur Jean Chastel, qui a tué la bête.
    Eric konnte die Augen nicht mehr von dem Bild wenden. Es schien sein Schicksal zu sein, dass er schließlich dem ersten Jäger begegnete, wenn auch als Gestalt auf einer Leinwand. Er ließ die Tasche und den Seesack auf den Boden fallen, dann streckte er die Hand aus und berührte das Gesicht des älteren Mannes mit den lockigen, langen weißen Haaren.
    Ich werde zu Ende bringen, was du hier begonnen hast, versprach er ihm und hängte sich das G3 mit der eingeklappten Schulterstütze unter den Mantel an seine Seite. Für diesen Einsatz hatte er zusätzlich zwei Pistolen mitgenommen, sie befanden sich am Gürtel auf dem Rücken. Dann kehrte er in die Gaststube zurück, wo sein Pilsglas bereits wieder aufgefüllt worden war.
    Der Wirt nickte. »Ah, Monsieur …«
    »Von Kastell.«
    »O là là, Sie sind ein deutscher Adliger?« Er rief über die Schulter in die Küche, und von dort kam die Antwort einer Frauenstimme. »Der Ziegenkäse ist gleich fertig.« Seine braunen Augen schauten an Eric herunter. »Werden Sie lange in Saugues bleiben?«
    »Morgen vielleicht noch. Mal sehen, was es zu erkunden gibt.«
    »Na, eine Menge, möchte ich meinen.« Er lachte. »Den Turm, das Museum der Bestie … und morgen ist außerdem sogar noch Kälbermarkt.« Ein helles Ping kam aus der Küche, der Wirt verschwand und kehrte mit einem Teller zurück, von dem ein intensiver Geruch ausging. Der Käse war auf seinem Bett aus geröstetem Brot halb geschmolzen und hatte sich ein wenig über den Salat verteilt. Es sah köstlich aus. »Voilà et bon appetit!«
    »Den habe ich, Monsieur Maiziere.« Eric blieb am Tresen stehen – nach der langen Fahrt war das Stehen eine Erholung –, aß langsam und genoss. Es war die Art von Ziegenkäse, die es in Deutschland nicht gab, und zusammen mit dem Salat, dem Brot, den Pinienkernen und den Croutons wurde es ein Fest für seinen Gaumen.
    »Haben Sie die Bilder auf der Treppe gesehen?« Maiziere schenkte sich einen Schnaps ein, und als Eric nickte, fuhr er fort: »Das ist die Bestie, die bei uns vor mehr als zweihundert Jahren umging. Es waren grauenvolle …«
    Eric winkte ab. »Lassen Sie mal, Monsieur Maiziere. Ich glaube nicht an diese Märchen, mit denen man Kinder erschreckt. Ich erkunde lieber Landschaften und die jeweilige Küche.« Er zeigte auf den Salat. »Das schmeckt unglaublich gut«, lobte er, um ihn abzulenken.
    »Merci.« Der Mann strahlte. »Und Sie bekommen noch mehr. Es gibt gleich Hähnchen, mit Käse überbacken, und ein paar Kartoffeln, danach Ananas Melba und zum Verdauen ein Eau de Vie.«
    »Mästen Sie all Ihre Gäste, bis sie platzen?«
    »Non, wir kochen eben sehr gern.« Maiziere beobachtete ihn zufrieden. »Wissen Sie, ein wenig mehr Schnee, und Sie wären sicherlich nicht durchgekommen. Die Verwehungen können selbst Einheimische von der Straße in den Graben locken.«
    »Die Fahrer vom Zirkus nicht.« Eric nutzte die Gelegenheit, unauffällig das Thema anzusprechen. Was machten die Franzosen bloß mit ihrem Baguette, dass es so gut schmeckte?
    »Oui, sie kommen jedes Jahr hierher. Sie machen den Umweg, wenn sie nach Südfrankreich in ihr Winterlager fahren.«
    »Aha. Es gibt einfachere Strecken, oder?«
    »Sicher. Aber die haben keine so schöne Landschaft wie wir. Und soviel ich weiß, hat einer der Besitzer hier einen Onkel. Oder eine Tante? Na ja, eben jemanden, den er einmal im Jahr besucht.« Er hob den Kopf und schaute an ihm vorbei. »Oh, ich habe mich getäuscht. Sie sind doch nicht der Einzige, der sich bei diesem Sauwetter auf die Straße wagt.«
    Eric wandte kauend den Kopf und sah eine Frauengestalt mit einem dunkelroten Kopftuch am Fenster des Hotels vorbeilaufen und sich gegen den Wind stemmen. Sie blieb vor dem Hotel stehen, schaute auf die Leuchtreklame und trat ein.
    Eric vergaß zu kauen.
    Er starrte der Frau einfach nur fassungslos ins Gesicht.
    Severina!
    »Da bist du ja«, sagte sie erleichtert und kam auf ihn zu, Schnee fiel von ihrem weißen Mantel und schmolz rasch auf dem warmen Fußboden. Sie nahm die beschlagene Brille ab und streifte die blonden Haare zurück, die unter dem Kopftuch hervorgekommen waren. »Ich sah mich schon die ganze

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