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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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nüchtern.
    »Und warum?«
    »Das ist eine lange Geschichte.«
    »Das sind oft die besten.«
    »Diese beginnt vor über zweihundert Jahren.«
    »Sollte ich vielleicht einen Kaffee kochen?«, fragte Isis mit einem amüsierten Lächeln, machte aber keine Anstalten, sich von ihrem Platz zu erheben. »Fangen Sie an, Simon … oder Eric … oder wie auch immer Sie heißen mögen.«
    »Mein Name ist Eric, Eric von Kastell«, sagte er – und begann tatsächlich, die Geschichte seiner Familie zu erzählen, die eng mit der Bestie verknüpft war. Zu seiner eigenen Überraschung beschränkte er sich nicht nur auf die wichtigsten Fakten. Es war, als würde er in die Rolle seines Vaters schlüpfen, dem Chronisten und begnadeten Geschichtenerzähler. Er fühlte sich ihm unglaublich nah, während er in dem kleinen Wohnwagen vor dem Wer-Eisbären und seiner Tochter saß, seinem Vater und auch dem Großvater, der Urgroßmutter und all den anderen Mitgliedern seiner Familie, die sich im Laufe der Generationen der Aufgabe verschrieben hatten, die Menschheit vor der Bestie zu schützen. »Dieses Werwesen ist das letzte seiner Art«, schloss er seinen Bericht schließlich, »und wenn diese Gefahr gebannt ist, kann ich endlich Frieden finden.«
    Lascar betrachtete ihn eine ganze Weile schweigend. »Und was würden Sie mit uns tun, Herr von Kastell?«, fragte er schließlich. »Wir gehören zu denen, die Sie jagen und töten.«
    Eric nickte langsam. »Ich bin hier, um das Vermächtnis meiner Familie zu Ende zu führen. Es geht mir nur um den Welpen. Danach höre ich auf.« Für einen Moment verschwamm seine Sicht; das Silber, das immer noch in seinem Körper wütete, quälte ihn.
    Lascar rieb sich die Nase und schwieg. »Sie haben vorhin von Familientradition gesprochen. Ich soll Ihnen glauben, dass Sie einfach alles hinwerfen? Den Tod Ihres Vaters ungerächt lassen?«
    »Keiner von denen, die meinen Vater auf dem Gewissen haben, lebt noch. Es gibt keinen Grund für mich, gegen alle anderen zu kämpfen.« Er kämpfte das Schwindelgefühl mühsam nieder. »Und nun habe ich auch ein paar Fragen an Sie.« Er beugte sich nach vorn und hatte sofort zwei Hände auf den Schultern; hart wurde er zurück gegen die Lehne gepresst. »Sie ziehen mit einem Zirkus voller Wandelwesen durch die Gegend – wieso? Um Ihre Morde besser zu vertuschen, indem Sie unentwegt die Stadt wechseln?«
    »Nein. Das nicht.« Lascar räusperte sich. »Sie kennen unsere Art, und Sie wissen, dass wir Junkies sind. Unsere Abhängigkeit ist bei Vollmond kaum zu kontrollieren und verlangt von uns, die Zähne in Menschenfleisch zu schlagen.« Er deutete auf sich, dann beschrieb sein Finger einen Kreis. »Auch wenn in uns das Tier lebt, sind wir nach wie vor Menschen geblieben und wollen nicht, dass wir andere verletzen. Einige von uns haben das in der Vergangenheit getan. Da schließe ich mich nicht aus.« Seine Stimme wurde brüchig. »Es ist ein … ein heilsamer Schock, wenn man wie aus einem Albtraum erwacht und den abgetrennten, abgefressenen Arm seiner eigenen Frau neben sich findet und man den Geschmack ihres Blutes im Mund trägt.« Er schluckte. »Ich wollte niemanden mehr töten, aber auch nicht sterben. Der einzige Ausweg war … das hier.«
    »Ein Zirkus.« Eric verstand Lascar sehr gut. Seine eigenen schrecklichen Erinnerungen sprangen ihn an. Er hörte die Bestie heulen und befand sich plötzlich in der Vergangenheit: der gekachelte Raum, das Klirren der Ketten, das plötzliche Reißen der schadhaften Halterungen und die Tür vor sich, durch die er brach …
    Er lief durch das Haus in St. Petersburg, grollte und knurrte und warf sich auf das erste Wesen, das ihm begegnete. Damals hatte er sie nicht erkannt, die Bestie in ihm hatte ihn blind gemacht. Erst nach dem Mord gab sie die Bilder für seinen menschlichen Verstand frei, um ihn noch mehr mit dem Wissen zu foltern.
    Mit dem Wissen, dass er seine eigene Mutter getötet hatte.
    Eric schlug sich die Hand vor den Mund, um das gequälte Stöhnen zu unterdrücken. Er sah die zerrissene Leiche, die Augen der Toten, die selbst im furchtbaren Leiden keinen Hass auf ihn zeigten.
    Lascar sah ihn erstaunt an. Wie sollte er sein Verhalten auch richtig deuten?
    »Ja, ein Zirkus. Ich war ein gut bezahlter Forscher am Polarkreis, als es mich erwischte. Der Eisbär hat das gesamte Forschungslager verwüstet und alle getötet – bis auf mich. Keine Ahnung, wieso er es bei einem Biss beließ. Zuerst habe ich gedacht, ich

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